Aktivierungstherapien bei ME/CFS
Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS berichten von ihren Erfahrungen mit Aktivierungstherapien
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit einen Vorbericht zum aktuellen Kenntnisstand zur Myalgischen Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) vorgelegt. Der endgültige Bericht soll Anfang nächsten Jahres erscheinen und wird große Auswirkungen auf die Erkrankten haben, da sich die Bundesregierung darauf stützen wird.
Neben vielen weiteren kritischen Stellen enthält der Vorbericht jedoch Behandlungsempfehlungen zu gesteigerter Aktivierungstherapie (GET) und aktivierender kognitiver Verhaltenstherapie (CBT). Beide Behandlungen werden weltweit von großen Gesundheitsbehörden für ME/CFS aufgrund mangelnder Evidenz und erheblichem Schadenspotential für Erkrankte abgelehnt. Die abnormale physiologische Reaktion von ME/CFS-Kranken auf Aktivierung und Sport ist gut belegt (Stevens et al., 2018).
Ein Argument, welches vom IQWiG angeführt wird, ist, dass GET unter Anleitung von Expert*innen mit Erfahrung mit ME/CFS sicher durchgeführt werden könnte. Die Erfahrung in Großbritannien, wo viele Jahre in spezialisierten Services GET und CBT als Therapie für ME/CFS angeboten wurde, zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Viele Befragungen (n = +15.000) zeigen, dass in der Versorgungsrealität GET und CBT trotzdem schädlich sind (Geraghty et al., 2017). Sollten die Empfehlungen zu GET und CBT im finalen Report stehen, könnten ME/CFS-Erkrankte in Deutschland großen gesundheitlichen Schaden erleiden.
Wir haben unsere Mitglieder nach ihren Erfahrungen mit Aktivierungstherapien (CBT und GET) gefragt. Wir haben innerhalb weniger Tage weit über 100 Antworten bekommen und möchten hier eine Auswahl zeigen.
Erfahrungen zu körperlichen Aktivierungstherapien:
Noa schreibt: „Ich war frisch ME-krank, gleich schwer aber schubweise. (…) Man gab mir die Aufgabe laufen zu lernen und ich bekam so ein Metallgerät in Ellenbogenhöhe, da konnten sich beide Arme dran festhalten. Ich schob also eine Metallsäule durch die Gegend. Es war schwer, ich crashte furchtbar, was sie nicht sehen wollten oder systemisch aufschreiben. Da ich immer gefallen wollte, habe ich mich extrem bemüht und bin dann auch fulminant gecrasht. Je öfter ich das versuchte, desto schlechter ging es und ich begann Guillain Barré zu entwickeln.“
Vor der Therapie konnte Chris noch langsam Treppen steigen. Er schreibt: „Psych.-Prof. S. (der vollständige Name ist der Redaktion bekannt) sagte, ich soll Sport machen, obwohl ich sagte, dass ich wohl diese Fatigue-Krankheit habe. Er war im 4. OG ohne Aufzug, ich war klitschnass, konnte mich kaum auf den Beinen halten.“ Die Folge: „Eine Sporteinheit, dann konnte ich mich nicht mehr versorgen. Pflegegrad 2 bekommen, 3 wäre richtig gewesen.“
Marie berichtet über die Erfahrungen ihres Partners. Vor der Therapie konnte dieser noch eine Stunde spazieren gehen oder sich eine Stunde unterhalten. Nach Belastung musste er aber zeitversetzt unter Schmerzen liegen. Sie schreibt: „Hausarzt sagte, um zwei Tage zeitversetzte Symptome nach Aktivität (nach mildem Covidverlauf) würde es nicht geben. Mein Partner müsste seine Kondition wieder aufbauen, mit sich langsam steigernden Training. Yoga, Radfahren, Joggen. Was er vor der Infektion auch täglich bzw. mehrmals wöchentlich machte.“ Die Folge: „Mein Partner hat dadurch immer weiter abgebaut. Nach nur wenigen Wochen konnte er das Haus nicht mehr verlassen, sich für ein 10-minütiges Gespräch nicht mehr konzentrieren. Er ist nie wieder gesund geworden – das war vor zwei Jahren. Heute pflegebedürftig, 50 % bettlägerig, kann sich nur 1 Min. am Stück unterhalten oder zuhören. Kann sich mit nichts beschäftigen.“
I berichtet über ihre Erfahrung als Mutter. Vor der Therapie konnte sie noch ihre beiden Kinder versorgen und den halben Tag aufstehen und am Leben teilnehmen. „Die Therapie wurde durch eine promovierte Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie durchgeführt. Ich habe jeweils das umgesetzt, was sie mir in den Sitzungen als ‚Hausaufgabe‘ mitgegeben hat. Ich war danach so erschöpft, dass ich über Wochen meinen Aufgaben als Mutter nicht mehr nachkommen konnte. Ich habe im Bett gelegen und meine Kinder nicht versorgen können. Ich hatte keine Kraft mehr aufzustehen. Somit konnte ich auch zu den Therapieterminen nicht mehr gehen. Ich bin danach nie wieder so kraftvoll geworden wie vor der Therapie. Mein Gesundheitszustand hat sich stetig verschlechtert. Heute bin ich überwiegend bettlägerig, kann das Haus nur noch sehr selten zu Arztterminen verlassen.“
Madita berichtet über ihre Erfahrungen in einer Reha-Klinik: „Vor der Therapie war ich arbeitsfähig und konnte vormittags arbeiten, nachmittags und am Wochenende hauptsächlich liegen mit wenigen Ausnahmen an besseren Tagen. Eine Aktivierungstherapie wurde im Rahmen eines 5-wöchigen Aufenthaltes in einer psychosomatischen Rehaklinik durchgeführt. Dort waren trotz starker Schmerzen und eines sich stetig verschlechternden Zustands regelmäßige Gymnastikgruppen (trocken und im Bewegungsbad), Laufgruppen, Qi Gong, Fasziengymnastik etc. zu besuchen. Bei Verweigerung drohte der Ausschluss aus der Reha. Die Konsequenz war, dass ich arbeitsfähig in die Reha gekommen bin, arbeitsunfähig aber angeblich voll leistungsfähig entlassen wurde, ein stationärer Anschlussaufenthalt über mehrere Wochen nötig war und ich danach voll berentet werden musste.“
LJ beschreibt, dass vor der Reha die Schule stundenweise möglich war. Auch konnte LJ noch 15 km skaten und sich uneingeschränkt unterhalten. LJ schreibt: „Reha für Fatigue stationär, nach einer Woche abgebrochen. 1,5 Tage nach Ankunft beginnende Schmerzen, dann Bettruhe, Physio im Sitzen für 15 Min. einzige Therapie, Beschwerden verschlechtern sich weiter, Abreise nach Hause.“ Die Folge: „Voll pflegebedürftig, kann das Haus nicht verlassen, erstmalig seit Erkrankung Rollstuhl erhalten, seit 1/4 Jahr ans Bett gebunden, in Dunkelheit, Rollo im Zimmer ständig unten, Toilettenstuhl im Zimmer am Bett, selbständige Nahrungsaufnahme war nicht mehr möglich, Augen offen halten zu anstrengend, Atmen fiel zeitweise schwer.“
Erfahrungen mit Verhaltenstherapie:
Wir bedanken uns bei allen Einsender*innen, die ihre Erfahrungen mit uns geteilt und öffentlich gemacht haben.
Redaktion: tel, jhe, dha