Foto von Sebastian Musch und Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen als Sachverständige bei der Anhörung

Anhörung zu ME/CFS im Gesundheitsausschuss des Bundestags

Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags

„ME/CFS-Betroffenen sowie deren Angehörigen endlich helfen“

Im Gesundheitsausschuss des Bundestags fand am 19. April eine öffentliche Anhörung zu ME/CFS statt. Anlass war der Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „ME/CFS-Betroffenen sowie deren Angehörigen endlich helfen – Für eine bessere Gesundheits- sowie Therapieversorgung, Aufklärung und Anerkennung“.

Im Januar hatte der Antrag bereits zur ersten Debatte über ME/CFS im Bundestag geführt, die Anhörung im Gesundheitsausschuss war der nächste Schritt.

Teilnehmende Sachverständige und Verbände/Institutionen

Sebastian Musch, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS, nahm als Sachverständiger teil. Zudem reichte die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS im Vorfeld eine schriftliche Stellungnahme ein.  

Zu den weiteren Teilnehmenden gehörten, neben den Fraktionsmitgliedern, Dr. Claudia Ebel (Fatigatio e. V.), Sonja Kohl (#SIGNforMECFS), Elena Lierck (NichtGenesenKids), Anni Conrad (Long COVID Deutschland), Dr. Eve Craigie (Kassenärztliche Bundesvereinigung), Prof. Dr. Uta Behrends (Technische Universität München), PD Dr. Bettina Hohberger (Universitätsklinikum Erlangen), Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen (Charité – Universitätsmedizin Berlin), Prof. Dr. Bernhard Schieffer (Universitätsklinikum Gießen und Marburg), Prof. Dr. Tobias Welte (Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover), die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit Sabine Dittmar und der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Stefan Schwartze.

Ablauf

Das Gremium tagte eine Stunde lang im Sitzungssaal des Paul-Löbe-Hauses. Es war eine hybride Veranstaltung (vor Ort und per Videozuschaltung). Die amtierende Vorsitzende Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) führte durch die Anhörung. Sie fasste den Antrag eingangs zusammen, danach hatten die Abgeordneten Gelegenheit, den eingeladenen Sachverständigen Fragen zu stellen. Für die Antworten standen jeweils drei Minuten zur Verfügung. 

Die eingeladenen Sachverständigen aus der Medizin und Wissenschaft, dem Gesundheitswesen und von Patientenverbänden äußerten ihre Einschätzungen zu Themen wie Forschung, Therapieoptionen und Versorgung von ME/CFS.

Die ärztlichen Expert*innen betonten die Notwendigkeit einer sektorübergreifenden Versorgung. Sie betonten die Dringlichkeit, klinische Studien durchzuführen und deren Finanzierung über angemessene Zeiträume zu sichern, um zeitnah Therapieoptionen schaffen und Medikamente einsetzen zu können. Zudem wurde die Notwendigkeit von mehr Grundlagenforschung thematisiert, um die Ursachen von ME/CFS besser zu verstehen. Die Expert*innen verwiesen auch auf die Zunahme von ME/CFS im Zusammenhang mit Long COVID. Konkrete Maßnahmen, die eingeleitet werden müssten, wurden genannt, wie u. a. die pharmazeutische Industrie für eine Zusammenarbeit zu gewinnen und Professuren für ME/CFS einzurichten, um Drittmittel für die Forschung zu generieren.

Die Patientenverbände forderten mehr Forschung für wirksame Therapien. Sie kritisierten die unzureichende Ausbildung der Ärzteschaft hinsichtlich ME/CFS und Post-Exertional Malaise, die mangelnde Versorgung in allen Bundesländern und die häufige fälschliche Psychologisierung der Erkrankung, die zu kontraindizierten aktivierenden Behandlungen, u. a. in Rehamaßnahmen führt. Zudem wurde die dringend notwendige Fortbildung des Gutachterwesens zu ME/CFS gefordert. Auch die prekäre Lage von Kindern und Jugendliche mit ME/CFS wurde, verbunden mit Lösungsansätzen wie beispielsweise Avatare als technische Hilfsmittel, dargestellt. Die Verbände betonten zudem die Bedeutung von Konzepten wie Telemedizin und aufsuchender Medizin für schwer Betroffene.

Auch die Vertreterin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sprach von Defiziten in der Ausbildung der Vertragsärzteschaft und daraus resultierender Verunsicherung. Sie konstatierte außerdem, dass zugelassene Therapien fehlen, die in der kassenärztlichen Versorgung zur Verfügung stehen.  

Zitat von Sebastian Musch aus der Anhörung:

ME/CFS befindet sich im toten Winkel des Gesundheitssystems. [...] Das liegt insbesondere daran, dass die Mehrheit der Ärzteschaft das Krankheitsbild schlicht nicht kennt, oder eben nicht mit den Diagnosekriterien vertraut ist, es falsch einordnet. [...] 90 % der Erkrankten haben meist gar keine Diagnose oder brauchen oft Jahre bis sie dahin kommen. [...] Und gerade auch bei niedergelassenen Ärzt*innen [...], die haben in der Versorgung das große Problem, dass sie das Krankheitsbild nicht adäquat abrechnen können. [...] Ein gutes Arztgespräch [für ME/CFS] braucht alleine 1 ½ – 2 Stunden. Dafür gibt es keine Kennzahl, oder keine Ziffer, die die Ärzt*innen dann abrechnen können

Aus der Pressemitteilung des Bundestags:

Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS ist die Krankheit seit ihrer Einstufung als neurologische Erkrankung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1969 ‚marginalisiert oder falsch eingeordnet' worden. ME/CFS liege seit Jahrzehnten ‚im toten Winkel des Gesundheitssystems'. Versorgungsstrukturen müssten von Grund auf neu entstehen. Das Ausmaß der Unterversorgung zeigt sich nach Angaben der Gesellschaft im Vergleich zu der ebenfalls neurologischen Erkrankung Multiple Sklerose (MS). Für ME/CFS gebe es in Deutschland eine Ambulanz für Erwachsene und eine für Kinder und Jugendliche, für MS-Kranke hingegen fast 200 Anlaufstellen. Weiterhin stünden für MS 16 zugelassene Medikamente zur Verfügung, für ME/CFS kein einziges. Es sei über Jahrzehnte versäumt worden, in die ME/CFS-Forschung zu investieren. Der Verband forderte eine langfristig finanzierte Forschung, eine Aufklärungskampagne und spezielle Abrechnungsmöglichkeiten für ME/CFS.

Post von Erich Irlstorfer MdB zur Anhörung mit Fotos:

Die Redaktion von mecfs.de hat diesen Text mit einem Beitrag von Instagram angereichert:
Erich Irlstorfer:

Heute Nachmittag fand die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Gesundheit auf Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema ME/CFS statt.

Ein weiterer wichtiger Schritt, die Erkrankung aus dem Schatten der Unbekanntheit zu holen sowie auf das Leid der Betroffenen aufmerksam zu machen. Vielen Dank an alle Expertinnen und Experten, die an dieser Sitzung teilgenommen haben.

Der Antrag unserer Fraktion wird nun zurück an den Ausschuss zur abschließenden Beratung geleitet. Wir sind gespannt, wie es dann weitergehen wird. Den Worten und Bekundungen vieler müssen nun endlich Taten folgen.

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Fazit und Ausblick

Die Anhörung war von Einigkeit der Fraktionen und Sachverständigen über die prekäre Versorgungssituation von ME/CFS und den großen Handlungsbedarf hinsichtlich Versorgung, Forschung und Aufklärung geprägt.  

Unser stellvertretender Vorsitzender Sebastian Musch konnte vor Ort auch in weiteren Gesprächen die Dringlichkeit unterstreichen. 

Einige eingeladene Sachverständige, die nicht zu Wort kamen oder nicht an der Anhörung teilnahmen, wie beispielsweise die Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. und der GKV-Spitzenverband, haben im Vorfeld schriftliche Stellungnahmen zur Versorgungslage ME/CFS-Betroffener eingereicht (hier zu finden), auf die wir ebenfalls bei unserer weiteren politischen Arbeit Bezug nehmen können.

Die letzten 50 Jahre haben gezeigt, dass die Selbstverwaltung von Medizin und Wissenschaft die ME/CFS-Versorgungskrise nicht aus eigener Kraft bewältigen kann. Es muss politisch auf eine Verbesserung der Versorgung und Behandlung hingewirkt werden, damit sich für die ME/CFS-Erkrankten in Deutschland etwas ändert. Dafür setzt sich die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS ein.

Wir halten Sie darüber auf dem Laufenden, wie es mit dem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion weitergeht. Um mit den Worten von Erich Irlstorfer MdB zu schließen: „Es braucht jetzt Geschwindigkeit. Den Worten müssen Taten folgen.“ 

Video der Anhörung

Die Anhörung wurde live im Parlamentsfernsehen und im Internet übertragen. Das Video kann in der Mediathek des Bundestags abgerufen werden. Der Bundestag wird zudem ein Transkript veröffentlichen.

Das Video der einstündigen Anhörung:

Weiterführende Links

  • Seite des Bundestags zur Anhörung mit dem Video, den schriftlichen Stellungnahmen und weiteren Informationen (Link)   
  • Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „ME/CFS-Betroffenen sowie deren Angehörigen endlich helfen – Für eine bessere Gesundheits- sowie Therapieversorgung, Aufklärung und Anerkennung“ (Link) 
  • Pressemitteilung des Bundestags (Link) 
  • Pressemitteilung der CDU/CSU (Link) 
  • Schriftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS (Link) 
  • Ärzteblatt: „ME/CFS – Behandlung möglichst schnell verbessern“ (Link) 
  • Aktionsplan für die Bundespolitik von der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und Long COVID Deutschland (Link) 

Redaktion: jhe, tel, jba, dha

Foto: Sebastian Musch von der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen als Sachverständige bei der Anhörung