Antikörper von Long-COVID-Betroffenen verursachen Symptome bei Mäusen

Antikörper von Long-COVID-Betroffenen verursachen Symptome bei Mäusen

Eine im Mai 2024 als Preprint veröffentlichte niederländische Studie von Chen et al. ist der Frage nachgegangen, ob bestimmte Antikörper aus dem Blut von Long-COVID-Erkrankten bei Mäusen Symptome hervorrufen können. Zur Kontrolle wurden anderen Mäusen Antikörper von gesunden Probanden verabreicht. Bei den Mäusen, denen die Antikörper von Long-COVID-Erkrankten verabreicht wurden, zeigte sich eine signifikant erhöhte Empfindlichkeit für Schmerzreize gegenüber der Kontrollgruppe (sensorische Hypersensitivität). Die Long-COVID-Betroffenen, die an der Studie teilnahmen, hatten mehrheitlich typische ME/CFS-Symptome (29 von 34 hatten Post-Exertionelle Malaise, das Kardinalsymptom von ME/CFS), sodass die Ergebnisse der Studie potenziell auch für ME/CFS relevant sind.

Methodik

Die untersuchte Studienkohorte bestand aus 34 Long-COVID (LC) Patient*innen im Alter von 18 bis 65 Jahren (82,4 % weiblich), die einen milden COVID-19-Akutverlauf ohne Hospitalisierung hatten. Die Akuterkrankung lag im Durchschnitt 275 Tage zurück. Voraussetzung für die Studienteilnahme war eine Reduzierung der Arbeitsstunden seit der SARS-CoV-2-Infektion. Alle 34 Patient*innen berichteten von Symptomen wie Fatigue, sowie 29 von Post-Exertioneller Malaise. Den Patient*innen wurde Blut abgenommen und aus ihrem Blutserum bestimmte Immunglobuline (Antikörper) der Klasse G (IgG) gefiltert. Diese Antikörper wurden Mäusen injiziert. Zur Kontrolle erhielten weitere Mäuse das IgG von gesunden Personen, die COVID-19 ohne anhaltende Symptome überstanden hatten. Die Menge des injizierten humanen IgG lag bei 260 mg pro kg Körpergewicht, was etwa einem Drittel des im Blut der Mäuse zirkulierenden IgG entspricht. Alle Mäuse wurden vor der Injektion des IgG sowie danach verschiedenen Tests unterzogen, die die Schmerzempfindlichkeit, das Aktivitätsniveau sowie die Bewegungskoordination messen.

Ergebnisse

In zwei Untersuchungen, die mittels mechanischen Drucks und Hitze die Schmerzempfindlichkeit der Mäuse maßen, zeigten die Mäuse mit dem IgG von LC-Betroffenen eine signifikant herabgesetzte Reaktionszeit. Daraus lässt sich auf eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit schließen. In einer Untergruppe der Mäuse mit dem IgG von LC-Betroffenen zeigte sich am ersten Tag nach der Injektion eine deutlich verringerte Bewegungsaktivität in Form einer um 40% reduzierten Bewegungsdistanz. Der Unterschied war sowohl nach 2 als auch nach 5 Tage nach der Injektion nicht mehr signifikant und nach 15 Tagen zeigte sich bei allen Gruppen ein ähnliches Aktivitätsniveau. Bei Untersuchungen zur Bewegungskoordination und zum Gleichgewicht wiesen Mäuse mit IgG von LC-Betroffenen keine signifikanten Veränderungen auf.

 

Grafik Nr. 5 aus dem Preprint von Chen et al. (2024) zeigt die herabgesetzte Schmerzschwelle bei Mäusen, denen IgG von Long COVID-Betroffenen injiziert wurde (M-LC) im Vergleich mit Mäusen denen IgG von gesunden Kontrollen injiziert wurde (M-HC). Die Grafiken A und B beziehen sich auf die Reaktion der Mäuse auf mechanischen Druck und die Grafiken C und D auf die Reaktion auf Hitzereize. Der Preprint ist unter CC BY-NC 4.0 lizensiert.

Bestätigung durch US-Studie

Eine zeitgleiche und unabhängige Studie in den USA von de Sá et al. (als Preprint veröffentlicht) hat ebenfalls IgG von LC-Betroffenen (n=55) Mäusen injiziert und den Effekt auf die Leistung in ähnlichen Tests wie in der niederländischen Studie untersucht. Dabei war das Ergebnis ebenso eine reduzierte Reaktionszeit auf Schmerzreize, d.h. eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit. Untersucht wurde außerdem auch die Handkraft der Mäuse; hier zeigte sich eine Tendenz zu einer leicht reduzierten maximalen Handkraft, allerdings war der Unterschied statistisch nicht signifikant. In der US-Studie wurde den Mäusen mit nur 38 mg IgG pro kg Körpergewicht deutlich weniger IgG injiziert als in der niederländischen Studie (260 mg/kg).

Interpretation und Einordnung in die ME/CFS-Forschung

Die Forschung zu ME/CFS hatte in der Vergangenheit immer wieder ein erhöhtes Niveau von Autoantikörpern gegen bestimmte G-Protein gekoppelte Rezeptoren gezeigt (z. B. Tanaka et. al., 2003; Loebel et al., 2016), sowie einen Zusammenhang der Autoantikörperspiegel mit der von Patient*innen berichteten Symptomschwere (Freitag et al., 2021). Hartwig et al. (2020) konnten in vitro (im Reagenzglas) zeigen, dass das IgG von ME/CFS-Betroffenen mit hohem Autoantikörperspiegel die Aktivierung des ß2-Adrenorezeptors hemmt. Flaskamp et al. (2022) stellten zudem eine erhöhte Bindung von Antikörpern an Endothelzellen fest und Yamamoto et al. (2012) hatten mittels Positronenemissionstomographie (PET) gezeigt, dass bei ME/CFS-Betroffenen mit erhöhten Autoantikörpern gegen den muskarinergen Acetylcholinrezeptor die Bindung von Liganden an den Rezeptor gestört ist. Bislang fehlten allerdings Studien, die über einen korrelativen Zusammenhang hinaus eine kausale Rolle der Autoantikörper bei der Verursachung von ME/CFS-Symptomen belegen. Die Studien von Chen et al. und de Sá et al. zeigen nun, dass das IgG von Long COVID-Betroffenen mit z.T. typischer ME/CFS-Symptomatik bei Mäusen eine messbar erhöhte Schmerzempfindlichkeit auslöst. Bei Menschen mit ME/CFS hatten Meeus et al. (2010) und Surian & Baraniuk (2020) bereits festgestellt, dass Betroffene bei mechanischem Druck schneller Schmerz empfinden als die gesunde Kontrollgruppe, d.h. unter einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit leiden. Darüber hinaus zeigt sich in der Studie von Chen et al. bei einer Untergruppe der Mäuse am ersten Tag nach der Injektion des IgG ein um 40 % reduziertes Aktivitätsniveau, ein möglicher Hinweis auf eine (Mit)-Verursachung der Fatigue durch die Autoantikörper.

Limitationen und Ausblick

Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass Proteine bei Menschen und Mäusen zwar sehr ähnlich sind, es aber auch Unterschiede gibt, sodass Autoantikörper bei Mäusen potenziell eine etwas veränderte Wirkung haben könnten im Vergleich zum menschlichen Körper (Amisten et al., 2017). Zudem entsprach die Menge des verabreichten IgG in der niederländischen Studie etwa einem Drittel und in der US-Studie umgerechnet nur etwa 5 % des gesamten IgG der Mäuse. Insbesondere bei der US-Studie stellt sich daher die Frage, ob die Menge der Antikörper ausgereicht hat, um neben der Schmerzempfindlichkeit weitere Symptome wie bspw. Fatigue auszulösen. Zwar gab es eine leichte Tendenz zu einer reduzierten Handkraft bei Mäusen mit IgG von LC-Betroffenen, jedoch war der Unterschied zu den Kontrollen statistisch nicht signifikant.

In den Studien wurden trotz z.T. typischer ME/CFS-Symptomatik bei den Patient*innen keine ME/CFS-Diagnostik bspw. mittels der Kanadischen Konsensuskriterien durchgeführt. Jedoch haben beide Forschungsgruppen die Absicht geäußert, die Versuche mit ME/CFS-Patient*innen unabhängig vom Auslöser wiederholen zu wollen. Dies könnte einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Rolle von Autoantikörpern beim Krankheitsmechanismus von ME/CFS leisten.

Link zur niederländischen Studie (Chen et al.): https://doi.org/10.1101/2024.05.30.596590

Link zur US-Studie (de Sá et al.): https://doi.org/10.1101/2024.06.18.24309100

Redaktion: mth

Editor: dha, mfr, csc