Bericht von der 3. ME/CFS Conference und Symposium 2025

3. Internationale ME/CFS Conference und Symposium 2025


veranstaltet vom Charité Fatigue Centrum und der ME/CFS Research Foundation

Internationale ME/CFS Conference: Neuste Forschungsergebnisse vorgestellt

Bereits zum dritten Mal fand am 12./13. Mai 2025 die internationale ME/CFS Research Conference unter dem Motto „Understand, Diagnose, Treat“ in Berlin statt. Rund 200 Ärzt*innen, Therapeut*innen, Forschende und interdisziplinäre Expert*innen aus den Bereichen Medizin und Biologie kamen zusammen, um die neusten Entwicklungen und Forschungsergebnisse zu ME/CFS vorzustellen und zu diskutieren. Verschiedene Betroffenenorganisationen waren ebenso vor Ort, um ihre Perspektive in den Diskurs einzubringen. Ca. 4.000 Personen folgten zeitweise dem Event über einen Livestream. Bei der Posterpräsentation von über 40 Postern zu ME/CFS gab es die Gelegenheit für direkten und intensiven Austausch zu den Forschungsergebnissen. Vielversprechend ist, dass sich eine wachsende Anzahl von Nachwuchswissenschaftler*innen mit der Erforschung von ME/CFS befasst.

Eine Zusammenfassung der einzelnen Vorträge findet sich am Ende dieser Seite. Die Präsentationen werden in voller Länge in englischer Sprache auf der Webseite der ME/CFS Research Foundation zur Verfügung gestellt.

Nach einleitenden Vorträgen von den Chairs Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen und Prof. Dr. David Putrino startete die Konferenz mit einem Einblick in die Versorgungssituation ME/CFS-Betroffener in verschiedenen Ländern. Ansätze zur Etablierung von Versorgungsstrukturen und die damit verbundenen Chancen und Hindernisse wurden vorgestellt. Aus Deutschland berichteten Prof. Dr. Uta Behrends über das PEDNET-LC Projekt, Dr. Claudia Kedor zur CFS_Care Studie und Prof. Dr. Bernhard Wörmann zu den Ergebnissen der Expert*innengruppe „Long COVID Off-Label-Use“. Im Folgenden lag der Fokus auf der Aufklärung der Pathomechanismen von ME/CFS. Insbesondere wurden die kardiovaskuläre und mitochondriale Dysfunktion sowie die Fehlregulationen des Immunsystems und Autoimmunität diskutiert.

Der zweite Tag der Konferenz stand ganz unter dem Thema klinische Studien. Ein ganzer Block war hierbei dem vielversprechenden Ansatz der immunmodulierenden Therapien gewidmet: Vorgestellt wurden verschiedene Studien zur B-Zell Depletion und Immunadsorption.

Bei der Immunadsorption werden Antikörper, inklusive Autoantikörper, aus dem Blut der Betroffenen gefiltert. Erste Beobachtungsstudien konnten bei einem Teil der Patient*innen Verbesserungen zeigen, allerdings ist die Aussagekraft über eine mögliche Wirksamkeit der Immunadsorption aufgrund fehlender Kontrollgruppen bislang noch begrenzt. Eine aktuell an der Charité Berlin durchgeführte doppelblinde und Placebo-kontrollierte Immunadsorptionsstudie soll daher weitere Erkenntnisse liefern (NCT05710770). Da der Körper nach einer Immunadsorption weiterhin potenziell schädigende Antikörper produziert, lässt die Wirkung der Immunadsorption nach einigen Monaten in der Regel wieder nach.

Hier setzt die B-Zell-Depletion an. Bei der medikamentösen B-Zell-Depletion werden B-Zellen, die Vorläufer der antikörperproduzierenden Plasmazellen, aus dem Blut entfernt. Dadurch wird das adaptive Immunsystem zumindest im Hinblick auf die Antikörperbildung deutlich heruntergefahren. Diese Therapie kommt bereits bei verschiedenen Erkrankungen erfolgreich zum Einsatz – etwa bei Multipler Sklerose oder bestimmten Formen von Blutkrebs wie B-Zell-Lymphomen oder chronischer lymphatischer Leukämie. In der Vergangenheit war der B-Zellen depletierende monoklonale Antikörper Rituximab in mehreren Studien bei ME/CFS getestet worden. Während eine Phase II-Studie signifikante Ergebnisse hervorbrachte, zeigte sich in einer darauffolgenden Phase III-Studie kein signifikanter Effekt von Rituximab gegenüber einem Placebo (Wir berichteten hier). Auch bei anderen Autoimmunkrankheiten wie beispielsweise Lupus erythematodes hatte es in der Vergangenheit negative Studien mit Rituximab gegeben. Daher werden Studien mit neueren monoklonalen Antikörpern (z. B. Inebilizumab und Daratumumab) angestrebt, die an die B-Zellen-Oberflächenproteine CD19 oder CD38 binden (CD20 bei Rituximab) und damit mehr B-Zell-Subtypen eliminieren können. Zudem plant ein japanisches Forscherteam eine Replikationsstudie mit Rituximab.

Vorgestellt wurden außerdem weitere therapeutische Ansätze wie die Hyperbare Sauerstofftherapie (HBOT) oder die Gabe von Oxalacetat, Low-dose Naltrexone, Mestinon und Low-dose Rapamycin. Ansätze zur Behandlung viraler Persistenz und mitochondrialer Dysfunktion wurden diskutiert. In einigen der Studien wurde deutlich, dass ein Teil der Betroffenen gut auf eine Therapie reagiert, während ein anderer Teil keine Verbesserung erfährt. Wichtig bleibt daher weiterhin, die pathophysiologischen Unterschiede und verschiedenen Ausprägungen der Erkrankung genau herauszuarbeiten, um gezielte Therapien für bestimmte Subgruppen von Betroffenen entwickeln zu können. Besonders wichtig ist diese Herangehensweise bei der Erforschung des Post-COVID-Syndroms, wo häufig auch Patient*innen ohne PEM eingeschlossen werden.   

ME/CFS Symposium – Übersicht der deutschen Forschungslandschaft

An die internationale Konferenz schloss sich das ME/CFS Research Symposium zu ME/CFS-Forschung und -Versorgungsstudien in Deutschland an. Das Symposium richtete sich explizit an Betroffene und die breite Öffentlichkeit und diente der Aufklärung und Information zu den in Deutschland laufenden Forschungsprojekten in den Bereichen Versorgung, klinische Forschung und Grundlagenforschung. In den letzten Monaten sind 29 Versorgungsforschungsprojekte sowie sieben Projekte zur Aufklärung der Pathomechanismen von ME/CFS angelaufen, von denen einige vorgestellt wurden. Die Präsentationen werden in voller Länge in deutscher Sprache auf der Webseite der ME/CFS Research Foundation zur Verfügung gestellt:

Der kürzlich aus dem Amt ausgeschiedene Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hielt eine Rede zum Auftakt des Symposiums. Er betonte die weiterhin prekäre Lage der Betroffenen und die hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten von ME/CFS und COVID-bezogenen Erkrankungen. Durch die kürzlich in Deutschland eingeführte elektronische Patientenakte ergeben sich laut Prof. Lauterbach neue Möglichkeiten für die Forschung, Gesundheitsdaten auszuwerten. Zudem hob er hervor, dass das Bundesministerium für Gesundheit insgesamt 120 Mio. Euro für die bedarfsgerechte Versorgung von erwachsenen ME/CFS- und Long-COVID-Betroffenen für 30 Forschungsprojekte bewilligt habe, darüber hinaus 45 Mio. Euro für vier Forschungsprojekte für betroffene Kinder und Jugendliche. Weitere neue Förderungen wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss für versorgungsnahe Forschungsprojekte bewilligt und eine epidemiologische Studie des RKI wurde verlängert. Eine Expert*innengruppe wird im Sommer 2025 evidenzbasierte Empfehlungen zur Off-Label-Medikation bei Long COVID herausgeben, die möglicherweise auch für ME/CFS gelten soll. Trotz dieser nie dagewesenen Aktivitäten der Forschungs- und Versorgungsförderung wies Prof. Lauterbach darauf hin, dass weiterhin großer Handlungsbedarf in Deutschland bestehe. So wiesen Ärzt*innen nach wie vor große Wissenslücken in Bezug auf ME/CFS und Long COVID auf und es fehle an flächendeckender medizinischer Versorgung. Nichtdestotrotz zeigte er sich optimistisch, dass in Zukunft Wege zur Heilung der Erkrankung identifiziert werden.

Neuste Schätzungen zu Prävalenz und wirtschaftlichem Schaden von ME/CFS und Long COVID

Abschließend präsentierte Jörg Heydecke, Geschäftsführer der ME/CFS Research Foundation, eine aktuellen Studie, in der die Betroffenenzahlen für Deutschland und die gesamtwirtschaftlichen Kosten für Long COVID und ME/CFS modelliert wurden. Der Studie zufolge leiden ca. 650.000 Personen in Deutschland an ME/CFS und zusätzlich 870.000 Personen an Long COVID. Dabei sind Betroffene, die seit 2020 aufgrund eines anderen Auslösers als SARS-CoV-2 an ME/CFS erkrankt sind, noch nicht einberechnet. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten für ME/CFS belaufen sich laut der Modellierung allein im Jahr 2024 auf 30,9 Milliarden Euro. Die Studie wurde von der ME/CFS Research Foundation und dem Unternehmen RiskLayer durchgeführt.

Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS unterstützt den interdisziplinären Austausch im Rahmen wissenschaftlicher Konferenzen sehr und dankt allen Beteiligten, insbesondere der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der ME/CFS Research Foundation, für ihr herausragendes Engagement. Der offene wissenschaftliche Diskurs bildet die Grundlage für die kritische Reflexion, Überprüfung und Weiterentwicklung von Hypothesen, Forschungsansätzen und Erkenntnissen.

Bildergalerie

Fotos: ME/CFS Research Foundation

Zusammenfassung der Vorträge der 3. Internationalen ME/CFS Conference

Einführung

Care for ME/CFS

Understanding I: Cardiovascular Dysregulation and Mitochondrial Pathology

Understanding II: Immune Dysregulation and Autoimmunity

Treatment I: Clinical Trials Targeting Autoantibodies

Treatment II: Clinical Trials

Einführung


Prof. Dr. David Putrino (Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York) blickte auf die gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse seit Beginn der COVID-19-Pandemie zurück und thematisierte in seinem Vortrag das Zusammenspiel vieler Faktoren für die Pathobiologie von Infektions-assoziierten chronischen Erkrankungen inklusive ME/CFS und Long COVID: Es gibt Evidenz für eine Dysregulation des Immunsystems (z. B. eine Persistenz von Viren nach der akuten Infektionsphase oder eine Reaktivierung anderer Viren), ein gestörtes Mikrobiom im Darm, Autoimmunität, Störungen des Stoffwechsels der Zellen, chronische Entzündungen (z. B. der Nerven), hormonelle Störungen sowie Störungen der Blutgerinnung und des Endothels (innere Schicht der Gefäßwände). Zukünftige Forschung muss nun herausfinden, wie diese Faktoren zusammenhängen und durch Therapien beeinflusst werden können. Die Faktoren spielen intraindividuell höchstwahrscheinlich jeweils nur bei einem Teil der Betroffenen eine Rolle und variieren stark über die Zeit – er empfiehlt daher in der Forschung auch eine wiederholte Diagnostik.

Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen (Charité Universitätsmedizin Berlin) führte die Rückschau auf die Pandemie in ihrem Vortrag fort. In einer historischen Betrachtung zeigte sie auf, dass ME/CFS in der Vergangenheit und auch weiterhin zu wenig Aufmerksamkeit in Bezug auf Forschungsförderung und Versorgung der Betroffenen erhält. Die COVID-19-Pandemie hat jedoch zu mehr Medienberichten und stark erhöhter Forschungsförderung geführt. Neuere Auffassungen von Postakuten Infektionssyndromen (PAIS) wie Long COVID oder ME/CFS als schwerwiegendste Form zeigen viele Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Erkrankungen (z. B. die häufigsten Symptome Fatigue und Post-Exertionelle Malaise (PEM)). Es wird angenommen, dass sich die Prävalenz von ME/CFS seit der Pandemie auf 0,6 % verdoppelt hat. Auch die Pathomechanismen von ME/CFS und Long COVID weisen sehr viele Gemeinsamkeiten auf. Ca. 10 – 20 % der Long-COVID-Betroffenen erfüllen die Kanadischen Konsenskriterien (CCC) für ME/CFS. Zusammenfassend besteht bei ME/CFS klare Evidenz für ein autoimmunes Geschehen, anhaltende Entzündungsreaktionen, eine vaskuläre Dysfunktion mit Hypoperfusion und eine muskuläre Mitochondriopathie mit einhergehender muskulärer Schädigung. Sie betonte die Rolle von Therapieansätzen, die auf die Autoimmunität fokussieren und z. B. die Autoantikörper im Blut reduzieren. Die gesellschaftlichen Kosten von ME/CFS und Long COVID werden in Deutschland auf 64 Mrd. Euro jährlich geschätzt. Es besteht demnach großer Handlungsbedarf für weitere Therapiestudien, die Entwicklung von Medikamenten unter Mitwirkung der Pharmaindustrie sowie den Ausbau aktuell noch inadäquater Versorgungsstrukturen. Zum Schluss des Vortrages wurde eine Deklaration vorgestellt, die Unterstützung der Forschung und Medikamentenentwicklung für ME/CFS und Long COVID fordert und von Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet mitgezeichnet werden kann.

Care for ME/CFS


In der zweiten Session „Care for ME/CFS“ wurden in sieben Vorträgen verschiedene aktuelle Versorgungsstudien sowie Off-Label-Medikationen bei ME/CFS und Long COVID thematisiert.

Prof. Dr. Uta Behrends (Technische Universität München) stellte das Projekt PEDNET-LC „A pediatric network for health care and research on post-COVID syndrome, similar post-acute infection and vaccination syndromes (PAVIS), and ME/CFS” vor. Das bundesweite Projekt konzentriert sich auf die Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit ME/CFS zuzüglich der Kinder und Jugendlichen mit komplexem Long COVID mit Partizipationsdefizit und PEM in Deutschland. Es erfolgt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen unter Einbezug der Patient*innen, ihrer Eltern, der Schulen und Krankenkassen. Zentrale Elemente sind der Aufbau einer übergeordneten Koordinationsstelle sowie von spezialisierten Anlaufstellen in jedem Bundesland, telemedizinischen Strukturen, einer Registerstudie und der Analyse von ökonomischen Kosten der Erkrankung.

Prof. Dr. Kathryn Hoffmann (Medizinische Universität Wien) stellte das österreichische nationale Referenzzentrum für postvirale Syndrome vor. Das Hauptziel des Referenzzentrums ist die Verbreitung von Wissen an Ärzt*innen und andere Behandler*innen sowie deren Vernetzung. Zwei Zentren der Medizinischen Universität Wien arbeiten hierbei zusammen: das Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie und das Zentrum für Public Health, Abteilung für Primary Care Medicine. Neben der Forschung ist das Referenzzentrum auch an Medienberichten, Leitlinien und Behandlungsempfehlungen beteiligt.

Prof. Dr. Fridbjörn Sigurdsson (Landspitali – University Hospital, Reykjavik, Island) stellte die Akureyri Clinic vor, eine nationale Klinik zur Behandlung von ME/CFS und Long COVID in Island. Der Name geht auf einen Ausbruch von ME/CFS in den Jahren 1948/1949 im isländischen Ort Akureyri mit knapp 500 Betroffenen zurück. ME/CFS-Betroffene sind in Island ähnlich wie in anderen europäischen Ländern stark unterversorgt. In der Klinik wurden seit ihrer Gründung im August 2024 400 Patient*innen von einem multidisziplinären Team aus neun Personen behandelt. Für den Aufbau einer zentralen Registerstudie fehlen jedoch noch Personal- und Forschungsmittel. Insgesamt gibt es jedoch Fortschritte bzgl. der Aufmerksamkeit für ME/CFS-Betroffene. Er betonte, dass man für die ME/CFS-Versorgung viel von den Strukturen der Onkologie lernen könne.

Dr. Claudia Kedor (Charité) präsentierte „CFS_CARE“, eine Versorgungsstudie zu ME/CFS. Ziele des Projekts sind eine Verbesserung der körperlichen Verfassung und der beruflichen Teilhabe sowie die Minimierung von Langzeit-Behandlungsbedarfen bei ME/CFS. Die zentralen Elemente sind eine umfassende diagnostische Evaluation, personalisierte Behandlungsempfehlungen und ein Rehabilitationskonzept mit Fokus auf Pacing und Symptomverbesserung. In einer randomisierten kontrollierten klinischen Studie wird die Wirksamkeit des Versorgungs- und Rehabilitationskonzepts gegen eine Kontrollgruppe getestet.

Dr. Michael Stingl (niedergelassener Neurologe, Wien) stellte seine Erfahrungen aus langjähriger ambulanter Behandlung von ME/CFS-Patient*innen vor. Bei der Diagnostik empfahl er, PEM ins Zentrum zu stellen und die Tests für Differentialdiagnostik auf das Nötigste zu beschränken, um Kosten und Belastungen für Betroffene zu minimieren. In Bezug auf Pacing erläuterte er, dass individuelle Analysen vonnöten seien, da sich die Wirksamkeit verschiedener Pacing-Strategien auch über die Zeit hinweg ändern könne. Diagnostik für Komorbiditäten sollte ebenfalls einbezogen werden, da sich daraus möglicherweise Behandlungsmöglichkeiten ergeben, um die Symptomatik zu reduzieren. Häufige Komorbiditäten sind PoTS (Posturales orthostatisches Tachykardie-Syndrom), Small-Fiber-Neuropathie (SFN), Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS), Immunschwäche, Hypermobilität sowie psychische Symptome. Eine psychologische Beurteilung sollte jedoch nur von erfahrenen Neurolog*innen/Psychiater*innen durchgeführt werden, die über ME/CFS informiert sind, Symptome entsprechend einordnen können und die Erkrankung nicht psychologisieren. Off-Label-Medikation kann hilfreich sein, sollte aber wegen fehlender empirischer Evidenz für die Wirksamkeit bei ME/CFS vorsichtig eingesetzt werden. Die Dosis sollte langsam und schrittweise erhöht werden, bei Ausbleiben von Verbesserung sollte der Wirkstoff wieder abgesetzt werden. Das Hauptziel der Off-Label-Medikation sei die Erhöhung der Schwelle für PEM, welche die Lebensqualität deutlich erhöhen kann. Wichtig sei zudem die Unterstützung der Patient*innen bei sozialrechtlichen Fragen – insbesondere durch Dokumentation der Funktionsbeeinträchtigung und bei der Beantragung von Hilfsmitteln.

Prof. Dr. Bernhard Wörmann (Charité) präsentierte die Arbeit der Expert*innengruppe „Long COVID Off-Label-Use“ des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Der damalige Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hatte die Expert*innengruppe gegründet, um ein beschleunigtes Verfahren für Empfehlungen von Off-Label-Use bei Post- und Long COVID beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zu erreichen. Folgende Empfehlungen sollen evidenzbasiert nach Sichtung der verfügbaren klinischen Wirksamkeitsstudien gegeben werden, wenn der G-BA voraussichtlich im Sommer 2025 zugestimmt hat: Ivabadrin senkt die Herzfrequenz und soll bei Long-COVID-Betroffenen mit PoTS empfohlen werden. Vortioxetin ist ein Antidepressivum und soll zur Verbesserung der kognitiven Funktionen und der Behandlung von komorbiden Depressionen bei Long COVID empfohlen werden. Agomelatin ist ein Antidepressivum, das an Melatonin-Rezeptoren bindet, und soll zur Reduktion von Fatigue empfohlen werden. Naltrexon ist ein Opioidantagonist, der niedrigdosiert (low-dose, 1-3 Milligramm pro Tag) eine Reduktion von Fatigue bewirken kann. Eine Empfehlung zum Off-Label-Use soll in Abhängigkeit der Ergebnisse einer aktuell in Großbritannien durchgeführten klinischen Studie erfolgen. Metformin senkt den Blutzuckerspiegel und soll niedrigdosiert während der ersten drei Tage einer akuten COVID-Infektion empfohlen werden, um das Risiko von Long COVID zu verringern (nur bei Personen über 16 Jahren und mit einem BMI > 25).

Zuletzt präsentierte Prof. Dr. Kristian Sommerfelt (Universität Bergen, Norwegen) eine Studie mit 47 von sehr schwerem ME/CFS Betroffenen in Norwegen. Untersucht wurde, welche Fragen des „Activities of Daily Living Score“ (ADLS) bestmöglich zwischen verschiedenen Schweregraden von ME/CFS differenzieren. Sehr schwer Betroffene konnten vor allem anhand ihrer Antworten auf folgende Fragen identifiziert werden: aufstehen & anziehen, duschen, Sonnenlicht aushalten (sehr schwer Betroffene sind dazu in der Regel nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt in der Lage). Als am stärksten einschränkende Symptome wurden Fatigue und Muskelschmerzen genannt.  Zusätzlich wurde der Krankheitsverlauf der Schwerstbetroffenen betrachtet. Im Rahmen der Studie konnte festgestellt werden, dass Schwerstbetroffene kaum Fluktuationen der Beschwerden berichteten und sich keine Besserung im Beobachtungszeitraum ergab. Auch die Situation der pflegenden Angehörigen von sehr schwer Betroffenen stellte sich als prekär dar. 60 % waren unzufrieden mit der Hilfe, die sie vom Gesundheits- und Sozialsystem erhielten. Am höchsten war die Zufriedenheit dabei mit den Hausärzt*innen und Physiotherapeut*innen, die vergleichsweise engen Kontakt zu den Betroffenen haben. Die Pflege von sehr schwer Betroffenen ist eine 24-Stunden-Aufgabe und hatte negative Auswirkungen auf die finanzielle und berufliche Situation sowie die sozialen Beziehungen und die Gesundheit der pflegenden Angehörigen.

Understanding I: Cardiovascular Dysregulation and Mitochondrial Pathology


In der dritten Session „Understanding I: Cardiovascular Dysregulation and Mitochondrial Pathology” wurden in fünf Vorträgen aktuelle Erkenntnisse zu den Pathomechanismen in Bezug auf eine gestörte Gefäßregulation und einen gestörten Energiestoffwechsel der Zelle vorgestellt.

Prof. Dr. David Systrom (Harvard Medical School, Boston, USA) stellte Erkenntnisse zum invasiven kardiopulmonalen Belastungstest (iCPET) bei ME/CFS und Long COVID vor. Ursprünglich wurde der Test entwickelt, um frühe Anzeichen von Herzschwäche festzustellen. Invasiv ist der Test, da während einer körperlichen Belastungsprobe über einen zentralvenösen Katheter Messungen durchgeführt werden. Bei ME/CFS zeigten sich Hinweise auf eine verminderte Vorlast, bei der der venöse Rückstrom zur linken Herzkammer reduziert ist, daher dem Herzen zu wenig Blut zugeführt wird und somit die Pumpleistung abnimmt. In der Folge wird der Körper nicht effizient durchblutet. Bei einer Subgruppe der Proband*innen lag eine gestörte Sauerstoffaufnahme vor, die auch zu einer verminderten Oxygenierung der Gewebe beiträgt. Zudem zeigte sich bei zwei Dritteln der ME/CFS-Patient*innen eine Small-Fiber-Neuropathie (SFN), die ebenfalls die Sauerstoffversorgung und Durchblutung der Gewebe einschränken kann und zu einem funktionellen Links-Rechts-Shunt führt. Aktuell wird in einer klinischen Studie untersucht, inwieweit die verminderte Vorlast durch Pyridostigmin (Handelsnamen: Mestinon, Kalymin) reduziert werden kann – ein Cholinesterasehemmer, der die Verfügbarkeit des Neurotransmitters Acetylcholin erhöht und somit möglicherweise dafür sorgen kann, dass Muskelschwäche und Fatigue reduziert werden.

Prof. Dr. Rob Wüst (Vrije Universiteit Amsterdam, Niederlande) thematisierte in seinem Vortrag Abnormalitäten der Skelettmuskeln bei ME/CFS und Long COVID. Die Pathophysiologie zur Erklärung von Belastungsintoleranz umfasst kurzfristige Stoffwechsel-Veränderungen, Anzeichen von Muskelschädigungen und gestörter Erholung nach Belastung sowie die Infiltration der Muskeln durch Immunzellen. Diese Pathophysiologie spricht gegen eine Erklärung von PEM durch Dekonditionierung. Eine aktuelle Studie, bei der Muskelbiopsien vor und nach Langzeit-Bettruhe entnommen wurden, zeigte, dass sich die Eigenschaften der Skelettmuskulatur bei Long COVID und ME/CFS von Gesunden mit Bettruhe unterschieden: Die Belastungskapazität war zwar bei beiden Gruppen reduziert, jedoch unterschieden sich die Struktur und Funktionsweise der Skelettmuskulatur. Bei ME/CFS wurden Veränderungen der Durchblutung und Funktion der Kapillargefäße sowie ein erhöhter Einbau glykolytischer Fasern in das Muskelgewebe beobachtet. In elektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigten sich Abnormalitäten in den Mitochondrien sowie eine Ansammlung von Abbauprodukten wie Lipofuszin. Diese Veränderungen könnten zukünftig ein neuer diagnostischer Marker bei postviralen Erkrankungen sein.

Prof. Dr. Jürgen Steinacker (Universität Ulm) präsentierte Forschungsergebnisse der EPILOC-Studie zur Dysfunktion der Mitochondrien in den Muskeln bei ME/CFS und Long COVID.

Prof. Dr. Christian Puta (Universität Jena) ging in seinem Vortrag auf Mechanismen bei PEM ein und stellte zu Beginn klar, dass es keinen allgemeingültigen Erklärungsmechanismus gibt, sondern verschiedene Faktoren, die allein oder gemeinsam wirken. Es gibt Veränderungen der kleinen Blutgefäße, die zur Sauerstoffunterversorgung des Muskelgewebes führen. Eine Fehlfunktion der Mitochondrien führt zu anaerobem Stoffwechsel. Der einhergehende Laktatüberschuss und die adrenerge Belastung beeinflussen das Immunsystem. Die ausgelöste Dysregulation des Immunsystems führt zu einer chronischen Entzündungsreaktion und einer Überproduktion regulatorischer T-Zellen. Zudem beschreibt eine aktuelle Hypothese den Zusammenhang von PEM und einer EBV-Reaktivierung nach einer Herpesvirus-Infektion.

Zuletzt präsentierte Prof. Dr. Karl Johan Tronstad (Universität Bergen, Norwegen) eine Methode zur Analyse der Veränderungen von Stoffwechselprodukten und Proteinen im Blut zur Diagnostik von ME/CFS.

Understanding II: Immune Dysregulation and Autoimmunity


Die vierte Session „Understanding II: Immune Dysregulation and Autoimmunity“ umfasste sechs Vorträge zur Rolle von Autoimmunität und Dysregulation des Immunsystems.

Sie begann mit einem Vortrag von Prof. Jeroen den Dunnen (Amsterdam University Medical Center) über die Effekte eines Transfers von Immunoglobulin (IgG)-Autoantikörpern von ME/CFS-Betroffenen auf Mäuse. Diese Antikörper sind gegen eine Vielzahl von Epitopen gerichtet, die sich vorwiegend im zentralen Nervensystem, dem peripheren Nervensystem oder der Muskulatur finden. Werden die Autoantikörper aus dem Serum von verschiedenen Untergruppen von ME/CFS-Patient*innen in Mäuse injiziert, zeigen diese Mäuse Symptomatiken, die den ME/CFS- oder Long-COVID-Symptomen der Spender*innen entsprechen. Bekamen die Mäuse Serum von Betroffenen mit Markern für Muskelschäden, liefen sie langsamer und weniger weit. Bekamen sie Serum von Betroffenen mit Markern für Schäden an Nervenzellen, wurden sie schmerzempfindlicher. Diese Befunde untermauern die Hypothese, dass ME/CFS- und Long-COVID-Symptome bei Subgruppen von Betroffenen auf eine Autoimmunreaktion zurückgeführt werden können. Dies öffnet weitere Wege für die Therapieforschung (z.B. zur Immunadsorption). Als nächste Forschungsziele wurden formuliert: 1) Etablierung von in-vivo Mausmodellen für Long COVID und ME/CFS durch Injektion von Autoantikörpern, die aus humanen B-Zellen gewonnen wurden, 2) Etablierung eines in-vitro Modells, bei dem Muskel-, Herz- und Nervenzellen kultiviert werden, um sie für ein Drug Screening zu verwenden, und 3) die Entwicklung eines diagnostischen Tests für Long COVID und ME/CFS basierend auf Serum-Cytokin-Profilen. Zusätzlich sollen drei randomisiert kontrollierte Studien (RCT) in Amsterdam stattfinden: 1) Immunadsorption basierend auf Antikörper-Profilen, 2) Medikamentenstudie mit Sonlicromanol, 3) Medikamentenstudie mit IDO-2 Inhibitoren.

Eine Besprechung und Einordnung der Studie zum IgG-Transfer auf Mäuse findet sich hier.

Prof. Takashi Yamamura (National Center of Neurology and Psychiatry, Tokyo, Japan) stellte Forschung zum Zusammenhang von G-Protein-gekoppelten-Rezeptor (GPCR)-Antikörpern mit Hirnveränderungen vor. ME/CFS-Patient*innen zeigten im MRT strukturelle Veränderungen im Gehirn, z.B. im rechten Fasciculus longitudinalis superior. Dies ist ein Faserbündel, das das Frontalhirn mit anderen Hirnregionen verbindet und eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von Sprache und der Integration sensorischer Informationen spielt. Eine Veränderung könnte mit typischen Symptomen wie Sprach- und Gedächtnisschwierigkeiten einhergehen. Darüber hinaus gab es einen Zusammenhang von GPCR-Antikörpern und Veränderungen im rechten dorsolateralen präfrontalen Kortex. Diese Hirnregion ist an höheren kognitiven Funktionen wie Handlungsplanung und Schlussfolgerung beteiligt. Diese Befunde könnten darauf hinweisen, dass die neurokognitiven Symptome bei ME/CFS durch Autoimmunreaktionen gegen das Nervensystem erklärt werden können. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass die Dauer der Erkrankung mit strukturellen Veränderungen im rechten frontalen Operculum, in dem sich ein Teil des Sprachzentrums befindet, in Zusammenhang steht.

Dr. Franziska Sotzny (Charité) ging in ihrem Vortrag ebenfalls auf die Rolle von GPCR-Antikörpern bei ME/CFS und Long COVID ein. Sie konzentrierte sich auf die molekulare Mimikry des EBV-Virus und des SARS-CoV-2-Viruses, das sich ähnelnde molekulare Eigenschaften des Virus mit körpereigenen Strukturen beschreibt. Da SARS-CoV-2 Infektionen zu EBV-Reaktivierungen führen können, erhöht sich aufgrund der Mimikry zusätzlich die Wahrscheinlichkeit, dass fälschlicherweise auch menschliche Antigene im Zuge der Immunantwort Ziel der Antikörper werden. Dies kann die Wahrscheinlichkeit von Autoimmunreaktionen nach der akuten Infektionsphase erhöhen. IgG-Immunglobuline (eine spezifische Klasse von Antikörpern) banden an menschliche argininreiche Peptid-Sequenzen, die den Bindungsstellen an EBV- bzw. SARS-CoV-2-Viren sehr ähnlich sind. Als Beispiel potenzieller argininreicher Epitope wurden z.B. der α-adrenerge Rezeptor, mitochondriale und neuronale Antigene, Ionenkanäle oder auch regulatorische oder proangiogenetische Epitope präsentiert. Weiterführend konnten gezielt positive Korrelationen zwischen Antikörperkonzentrationen und spezifischer ME/CFS- Symptomatik (z.B. kognitive Einschränkungen, Muskelschmerzen, Kopfschmerz, autonome Dysfunktion, Fatigue und PEM) in Patient*innensubgruppen identifiziert werden.

Dr. Christiana Franke (Charité) fokussierte auf Autoantikörper gegen neuronale Antigene bei ME/CFS und Long COVID. Autoantikörper gegen neuronale Antigene spielen bei vielen neurologischen/ neurodegenerativen Erkrankungen eine Rolle und verursachen z.B. nach viraler Herpesenzephalitis bei fast 30% der Betroffenen ein eigenständiges postinfektiöses Krankheitsbild (NMDAR Enzephalitis). In der Rückenmarksflüssigkeit von Long-COVID- und Post-Vac-Betroffenen mit neurologischen oder kognitiven Symptomen wurden ebenfalls Autoantikörper gegen neuronale Antigene nachgewiesen. Es wurden die Studien PoCOVit, die mittels verblindeter Methylprednisolongabe eine Autoimmunreaktion unterdrücken soll, und die IA-PACS-CFS-Studie, die verblindet mittels Immunadsorption Autoantikörper aus dem Blut filtern soll, vorgestellt. Aktuell läuft die Analyse der gesammelten Daten. Auch diese Forschung legt den Schluss nahe, dass Autoimmunität eine Rolle bei post-akuten Infektionssyndromen (PAIS) und ME/CFS spielt. Der Zusammenhang von klinischen Ausprägungen und Autoantikörpern als Biomarkern ist wichtig für Interventionsstudien.

Prof. Dr. Birgit Sawitzki (Charité) befasste sich mit autoreaktiven B-Zellen und Hinweisen auf eine anhaltende Interaktion von B-und T-Zellen in den sekundären lymphatischen Organen (z. B. Lymphknoten oder Milz) bei ME/CFS. In den sogenannten Keimzentren vermehren sich B-Zellen nach Antigenkontakt mit Unterstützung von T-Helferzellen und durchlaufen ihre Reifung. Es gibt Hinweise darauf, dass dieser Prozess bei ME/CFS- und Long COVID-Patient*innen auch nach Abklingen einer akuten Infektion weiterhin aktiv ist und eine andauernde Immunreaktion begünstigt. Um die zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen, phänotypisiert die Arbeitsgruppe von Prof. Sawitzki Immunzellen mithilfe von Multiplex-Immunzytometrie, bei der charakteristische Oberflächenmerkmale von Immunzellen analysiert werden. Zusätzlich sind umfassende Analysen der im Blutplasma zirkulierenden Proteine (Plasma-Proteomics) geplant. Die Forschungsergebnisse könnten künftig unter anderem zur Stratifizierung von Patient*innengruppen für immunmodulierende Therapien, wie z. B. Immunadsorptionsstudien, genutzt werden. Bei einer Immunadsorption werden Autoantikörper oder Immunkomplexe gezielt aus dem Blut entfernt. Darüber hinaus wurde eine Normalisierung der B-Zell-Populationen bei Respondern im Rahmen einer Immunadsorptionsstudie (IACS) beobachtet. Präliminäre Auswertungen einer placebo-kontrollierten Studie bestätigen diese Ergebnisse.

Zuletzt ging Dr. Anna Aschenbrenner (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen) darauf ein, dass mittels Einzelzell-Transkriptomanalyse eine Dysregulation in peripheren Immunzellen bei ME/CFS-Betroffenen festgestellt wurde.

Treatment I: Clinical Trials Targeting Autoantibodies


Tag 2 der Konferenz widmete sich Behandlungsansätzen. In der ersten Session „Treatment I: Clinical Trials Targeting Autoantibodies” ging es in sechs Vorträgen um klinische Studien, die Autoantikörper bei den Betroffenen reduzieren sollen.

Eröffnet wurde die Session von Prof. Dr. Olav Mella (Universität Bergen, Norwegen), der einen Überblick über die Forschung der letzten 10 Jahre zur Autoantikörper-Reduktion als Behandlung von ME/CFS gab. Zunächst stellte er die Forschung zu Rituximab und Cyclophosphamid vor, die von seinem Team durchgeführt wurde. Diese Medikamente werden traditionell in Chemotherapien aufgrund von Krebserkrankungen eingesetzt. Rituximab bindet an das CD20-Antigen auf B-Zellen und zerstört diese. Cyclophosphamid hingegen wirkt auch gegen Plasmablasten, die gegen Rituximab refraktär sind. Zu Beginn ihrer Studien konnte trotz vielversprechenden Vorstudien inklusive einer positiven Phase II-Studie in einer randomisierten multizentrischen Phase III-Studie (RituxME) keine Wirksamkeit von Rituximab gegenüber einer Placebo-Kontrollgruppe nachgewiesen werden. Wir berichteten hier. Obwohl Prof. Mella und sein Team über viele Jahre beobachtet haben, dass einige ME/CFS-Betroffene nach einer Krebserkrankung und Rituximabtherapie eine Besserung der Symptomatik erfahren haben, konnte dies nicht in der klinischen Phase III-Studie nachgewiesen werden. Mögliche Gründe hierfür könnten fehlende objektive Endpunkte, eine zu niedrige Dosierung und Placebo-Effekte in allen Studienarmen gewesen sein. Darüber hinaus erschweren die Vielfältigkeit und Variabilität der ME/CFS-Symptome den Nachweis einer Wirksamkeit über Subgruppen von Patient*innen hinweg. Die Studien zu Rituximab wurden im Rahmen der KTS-2 Studie weitergeführt (mit höherer Dosierung und verlängerter Gabe des Medikamentes) und weisen deutlich bessere Ergebnisse auf. Die Cyclophosphamid-Studien konnten teilweise dauerhaft erzielte Remissionen und Wirksamkeit auch nach langjähriger ME/CFS-Erkrankung zeigen (bei jedoch ungünstigerem Nebenwirkungsprofil als in der Krebstherapie normalerweise beobachtet). Bemerkenswert ist, dass im Rahmen dieser Therapie alle Symptome von ME/CFS beeinflusst werden, was darauf hinweist, dass ein zentraler Baustein des Pathomechanismus beeinflusst wird. Das Team forscht weiter daran, Therapieansätze in Bezug auf die Autoimmunkomponente von ME/CFS zu entwickeln. Aktuell konzentrieren sie sich auf langlebige Plasmazellen, die (Auto-)Antikörper jahre- oder lebenslang ins Blut abgeben können.

Im Anschluss präsentierte Prof. Dr. Øystein Fluge (Universität Bergen, Norwegen) aktuelle Forschung des Teams zu Daratumumab, einem monoklonalen Antikörper, der an das Glykoprotein CD38 von (langlebigen) Plasmazellen bindet und ebenfalls in der Chemotherapie eingesetzt wird. Die Daten zur Studie werden in Kürze veröffentlicht.

Dr. Judith Bellmann-Strobl (Charité) stellte ebenfalls eine geplante Studie zur Depletion von B-Zellen vor.

Ein Studienplan für einen Replikationsversuch der Behandlungsstudie mit Rituximab in Japan wurde von Dr. Wakiro Sato (National Center of Neurology and Psychiatry, Tokyo, Japan) vorgestellt. In der randomisiert-kontrollierten Studie (NCT06952413) sollen 30 ME/CFS-Patient*innen in zwei Gruppen eingeteilt und entweder zuerst Rituximab und dann nach 24 Wochen ein Placebo erhalten oder andersherum (Cross-over-Design). Es sind besonders umfassende, auch explorative, Endpunkte geplant, um die Wirksamkeit und Effekte der Therapie zu überprüfen, unter anderem die Einschätzung der Alltagsaktivitäten, eine klinische Evaluation und verschiedene Biomarker (z.B. in Bezug auf das Mikrobiom im Darm, Immunwerte und Stoffwechselwerte, zudem wird ein MRT des Gehirns durchgeführt).

Die letzten beiden Vorträge der Session beschäftigten sich mit Immunadsorption, also dem Entfernen von immunologischen Faktoren aus dem Blut. Dr. Elisa Stein (Charité Berlin) stellte Ergebnisse einer Beobachtungsstudie mit 20 Patient*innen mit ME/CFS oder Long COVID vor (Publikation der Studie: Stein et al., 2025). Die Teilnehmenden wiesen erhöhte Autoantikörper-Konzentrationen gegen den β-2-adrenergen Rezeptor auf und erhielten die Immunadsorption ambulant in 5 Sitzungen über 10 Tage. Bei 7 Personen zeigte sich keine Veränderung, 14 Personen sprachen auf die Therapie an und zeigten eine Verbesserung des funktionellen Status, eine Reduktion von Immunglobulinen und Autoantikörpern, sowie eine Verringerung von PEM und Schmerzen. Dies sind Hinweise darauf, dass Immunadsorption die Symptomatik von ME/CFS und Long COVID verbessern kann. Die Effekte sind jedoch nicht dauerhaft, da nur Antikörper aus dem Blut gewaschen werden, die antikörperproduzierenden Zellen jedoch nicht reduziert werden. Weitere Forschung soll genauer differenzieren, welche Subgruppen von Patient*innen auf die Therapie ansprechen und aus welchen Gründen, und zusätzlich eine Kombination von Immunadsorption mit B-Zell-depletierenden Therapien untersuchen.

Zuletzt fokussierte der Vortrag von PD Dr. Georg Schliepper (Dialyse Hannover) auf Immunadsorption bei Patient*innen mit sehr schwerem ME/CFS. Eine Serie von Fallstudien zeigte eine Verbesserung bei einzelnen Patient*innen mit Long COVID (Veränderung Bell-Score 30 zu 60), Post-Vac-Syndrom (Bell-Score von 20 zu 70) oder ME/CFS nach COVID (Bell-Score von 0 zu 20). Da es jedoch bisher keine Kontrollgruppe gab, muss zunächst eine randomisiert-kontrollierte klinische Studie durchgeführt werden, bevor man gesicherte Aussagen zur Wirksamkeit treffen kann. Weitere Forschung muss die Mechanismen in den Blick nehmen, um zu verstehen, warum manche Betroffene von der Immunadsorption profitieren und andere nicht.

Treatment II: Clinical Trials


Die letzte Session „Treatment II: Clinical Trials” umfasste nochmals sieben Vorträge mit weiteren Ansätzen zur Behandlung und Symptomreduktion.

Prof. Dr. Nina Babel (Ruhr-Universität Bochum und Charité) gab einen Überblick über Ansätze zur intravenösen Therapie mit IgG-Immunglobulin (IVIG) bei ME/CFS. Dabei werden ME/CFS-Patient*innen Immunglobuline von Gesunden injiziert. Bei anderen Autoimmunerkrankungen wird diese Therapie beispielsweise eingesetzt, um chronische Entzündungsreaktionen zu reduzieren, Autoantikörper zu neutralisieren und das Immunsystem zu modulieren. In den 90er-Jahren ergaben randomisiert-kontrollierte klinische Studien zu IVIG bei ME/CFS gemischte Befunde. Aktuell zeigen einige Fallstudien positive Effekte bei ME/CFS und Long COVID (z.B. reduzierte Fatigue, gesteigerte körperliche Aktivität). Jedoch fehlen bisher groß angelegte klinische Studien und es ist noch nicht bekannt, welche Subgruppen von Betroffenen positiv auf die Behandlung reagieren. Zudem muss in Zukunft erforscht werden, welche Dosierung, Häufigkeit und Dauer der Therapie wirksam ist.

Dr. Laura Kim (Charité) stellte Ergebnisse zur hyperbaren Sauerstofftherapie (HBOT) bei ME/CFS vor. Bei diesem Ansatz inhalieren die Betroffenen reinen Sauerstoff in einer Überdruckkammer. HBOT wird traditionell bei Dekompressionskrankheit oder zur Behandlung von Infektionen eingesetzt. In mehreren Sitzungen wird eine Hyperoxidation angestrebt, bei der das Blut mit Sauerstoff aufgesättigt wird und Sauerstoff als gelöstes Molekül ohne Bindung an Hämoglobin in den Gefäßen verfügbar ist. Die Therapie kann dazu führen, dass neue Blutgefäße gebildet werden (hilft bei endothelialer Dysfunktion), die mitochondriale Aktivität und Effizienz gesteigert wird sowie inflammatorische Zytokine gehemmt werden und so die chronische Entzündungsreaktion abnimmt. Eine erste randomisiert-kontrollierte klinische Studie aus Israel zeigte eine Verbesserung der ME/CFS-Symptomatik nach 40 HBOT-Sitzungen, eine Studie aus Schweden mit 10 Sitzungen zeigte jedoch keine positiven Effekte. An der Charité erhielten 30 ME/CFS-Patient*innen mit moderater bis schwerer Symptomatik 40 Sitzungen und zeigten keine Nebenwirkungen, keine erhöhte PEM durch die Therapie sowie eine leichte Verbesserung der allgemeinen Funktionsfähigkeit. Darüber hinaus hatten die Betroffenen weniger Schmerzen, eine verbesserte Handkraft und eine verringerte Fatigue und berichteten, dass ihnen die HBOT gutgetan hat und sie die Sitzungen gerne fortführen würden. Die Studie untersucht auch systematisch die Effekte von 20 vs. 40 Sitzungen und welche Subgruppen von Patient*innen am besten auf die Therapie ansprechen.

Alan Cash (Terra Biological LLC, USA) stellte eine eigene Wirksamkeitsstudie (Cash et Kaufman, 2022) zu Oxalacetat bei ME/CFS und Long COVID vor. Oxaloacetat ist ein wichtiger Metabolit im Stoffwechsel, insbesondere im Citratzyklus und der Glukoseneubildung. Bei ME/CFS konnten verringerte Oxalacetat-Konzentrationen nachgewiesen werden. Die Einnahme des tautomeren Enol-Oxalacetats (AEO) soll die chronische Entzündungsreaktion reduzieren, die Neubildung von Mitochondrien und die Aufnahme von Glukose in die Zellen unterstützen. In einer Pilotstudie zeigten 76 ME/CFS-Betroffene nach 6 Wochen im Schnitt eine um 33 % reduzierte Fatigue. In einer randomisiert-kontrollierten Studie mit 64 ME/CFS-Betroffenen und der Einnahme von Reismehl als Placebo in der Kontrollgruppe zeigte sich in der Interventionsgruppe eine Verbesserung der Fatigue von 25–35 %, zudem traten Crashes weniger häufig auf. 40 % der Personen in der Interventionsgruppe sprachen besonders stark auf die Behandlung an und reduzierten die Fatigue um 63 %. Eine weitere klinische Studie mit Long-COVID-Betroffenen zeigte eine Verbesserung der neurokognitiven Symptome (weniger Brain Fog).

Prof. Dr. Michael Peluso (University of California San Francisco, USA) sprach über Therapieansätze bei Long COVID, die sich mit Viruspersistenz beschäftigen. Besonders vor der Verbreitung der Omikron-Variante zeigte sich eine Persistenz des SARS-CoV-2-Virus bei Long-COVID-Betroffenen in Blut und Gewebe. Aktuell ist noch unklar, ob die Viruspersistenz eine Folge oder die Ursache von Long COVID ist. Bekannt ist, dass eine Korrelation zwischen Viruspersistenz und viraler nasaler Last zum Zeitpunkt der ursprünglichen Infektion besteht. Zusätzlich besteht ein Zusammenhang zwischen der Schwere der Long-COVID-Symptome und Antigenen gegen SARS-CoV-2 im Blut ein Jahr nach der akuten Infektion. Die Antigene waren mit kognitiven und kreislaufbezogenen Symptomen von Long COVID assoziiert, aber nicht mit Fatigue. Zukünftige Studien sollen sich damit beschäftigen, eine Viruspersistenz zu verhindern und eine bestehende Viruspersistenz zu verringern. Bisher gibt es nur begrenzte Evidenz, nachdem zwei Studien mit Nirmatrelvir-Ritonavir Kombination (Paxlovid) negativ ausgefallen sind (STOP-PASC und PAX LC Studie), aber in einigen Monaten sollen die Ergebnisse der RECOVER-VITAL-Studie (NCT05965726) vorliegen, die die Wirksamkeit von antiviralen Medikamenten während einer akuten COVID-19-Infektion mit 900 Teilnehmenden untersucht. Erwähnt wurde auch die aktuell laufende placebokontrollierte Studie outSMART-LC (NCT05877508), die mit dem monoklonalem Antikörper AER002 gegen SARS-CoV-2 auf eine Reduktion persistierender Viruspartikel und damit einer Zustandsverbesserung bei Long COVID abzielt. Prof. Pelusio betonte die Notwendigkeit besserer Biomarker zur Stratifizierung der zu untersuchenden Kohorten, um widersprüchliche Ergebnisse zu vermeiden, sowie die Notwendigkeit der Etablierung einer zentralen Kohorte für kommende Studien mit zentraler Datenanalyse und Konsensus-Biomarkern, um Ergebnisse zukünftiger Studien besser untereinander vergleichen zu können.

Prof. Dr. David Systrom (Harvard Medical School, USA) stellte klinische Studien zur Wirksamkeit von niedrig dosiertem Naltrexon (LDN) und Pyridostigmin (z.B. Mestinon) bei ME/CFS vor. Thematisch schloss die Präsentation an seinen Vortrag vom Tag zuvor an, in welchem von einer verminderten Vorlast bei ME/CFS berichtet wurde. Pyridostigmin (Mestinon) zeigte in einer Pilotstudie, dass es die Vorlast erhöhen kann. Als Wirkmechanismus wird angenommen, dass sich der Gefäßtonus in einer aufrechten Position verbessert und so der Blutfluss verbessert wird. LDN (siehe auch Vortrag Prof. Wörmann) wird bereits für die Off-Label-Behandlung eingesetzt. Erste klinische Wirksamkeitsstudien bei Fibromyalgie sind aktuell in Arbeit. Der Wirkmechanismus bei LDN ist eine Reduktion der natürlichen Killerzellen und proinflammatorischen Zytokine zur Verringerung der chronischen Entzündungsreaktion. Aktuell wird eine klinische Studie (Harvard LIFT; NCT06366724) mit 160 ME/CFS-Betroffenen mit orthostatischer Intoleranz zur Wirksamkeit einer Kombination von LDN und Mestinon durchgeführt, die Datenerhebung läuft noch.

Prof. David Putrino (Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York, USA) stellte eine klinische Studie zu Rapamycin (Sirolimus) bei Long COVID vor (NCT06960928). Dies ist ein makrozyklisches Antibiotikum und zusätzlich ein m-TOR-Inhibitor, welches in hohen Dosen immunsuppressiv wirkt. Es wird aufgrund antiproliferativer Effekte bei Krebsbehandlungen oder als Immunsuppressivum bei  Organtransplantationen eingesetzt. Niedrigdosiert hat es immunmodulatorische Effekte. Bei Long COVID können Virus-Reaktivierung, chronische Entzündungsreaktionen und eine Dysregulation des Immunsystems beobachtet werden. Rapamycin könnte gegen diese Symptome helfen: Es stabilisiert die Sekretion von inflammatorischen Zytokinen, verbessert die Funktion der T-Zellen, reduziert die Anzahl von (Re-)Infektionen und gleicht die altersbedingte Verringerung der Effizienz des Immunsystems aus. Eine aktuell durchgeführte randomisiert-kontrollierte Doppelblind-Studie mit 80 Long-COVID-Betroffenen untersucht die Wirksamkeit von wöchentlichen Einzeldosen über einen Zeitraum von 3 Monaten. Die Studie befindet sich derzeit in der Rekrutierungsphase. Ziel ist es, im Rahmen der Studie geeignete Biomarker von auf die Therapie ansprechenden Proband*innen zu identifizieren, um dann eine größere Studie zu planen, bei der die vorhergehend identifizierten Biomarker als Einschlusskriterium verwendet werden.

Der letzte Vortrag der Konferenz wurde von Prof.Dr. Klaus Wirth (Mitodicure GmbH) gehalten und thematisierte die muskuläre und mitochondriale Dysfunktion bei ME/CFS, basierend auf klinischen Studienergebnissen und seiner darauf entwickelten Hypothese. Diese beschreibt einen Teufelskreis, der, basierend auf Perfusionsstörungen der Muskulatur und anaerobem Stoffwechsel unter Belastung bei ME/CFS über eine gestörte Elektrolythomöostase zu einer mitochondrialen Dysfunktion und Schädigung führt und diese aufrecht erhalten kann. Im Detail: Aufgrund eines Protonenüberschusses der Zelle (basierend auf einem anaeroben Metabolismus) wird Natrium vermehrt in die Zelle eingeschleust. Das erhöhte Zell-Natrium kann nun unter sehr hohem ATP-Verbrauch nicht ausreichend aus den Skelettmuskelzellen abtransportiert werden. GPCR-Autoantikörper gegen den β-adrenergen Rezeptor oder eine Small-Fiber-Neuropathie wirken sich negativ auf die Ausschleusung über die Na+/ K+-ATPase aus. Die erhöhte intrazelluläre Natrium-Konzentration beeinflusst die intrazelluläre Konzentration von Calcium, es kommt zur Calcium-Überladung, die schlussendlich zu einer mitochondrialen Dysfunktion und mitochondrialen Schädigung führt. Ein Überschuss an Calcium verringert die oxidative ATP-Produktion, geschädigte Mitochondrien verbrauchen somit ATP, anstatt es zu produzieren. Dies könnte die Belastungsintoleranz erklären. Bei schwer von ME/CFS Betroffenen könnten sich die Skelettmuskeln in einem konstanten Zustand der Depolarisation befinden, was zu Kraftverlust und Muskelzuckungen führt. Die bei dem Mechanismus bestehende Natrium-Konzentrationsschwelle, ab der eine effektive Natrium Ausschleusung aus der Zelle nicht mehr gegeben ist, kann die Belastungsschwelle bei Belastungsintoleranz physiologisch erklären. Das von Mitodicure entwickelte pharmakologische Molekül MDC002, welches in Tablettenform verabreicht werden kann, stimuliert die Natrium-Kalium-Pumpe zur ATP-Produktion sowie den Natrium-Calcium-Austausch in den Mitochondrien der Skelettmuskeln. Es könnte als Therapieansatz die Mechanismen unterbrechen, die zur Schädigung der Mitochondrien führen, damit diese sich wieder regenerieren können. Laut Prof. Wirth handelt es sich bei ME/CFS um eine erworbene mitochondriale Myopathie.

Redaktion: lfr, mwi, mda, mth