Erhöhte ATP-Level bei CFS-Patienten?

Wissenschaftler finden erhöhte ATP-Produktion in den Zellen von CFS-Patienten

Zwei Forscherteams aus den USA fanden über­ra­schen­der­wei­se eine erhöhte Energieproduktion in den Zellen von CFS-Patienten. Die beiden Teams sind ansässig an der Stanford Universität in Kalifornien und der Mailman School of Public Health an der Columbia Universität in New York.

Was ist die Ursache der schweren Fatigue (krankhafte Erschöpfung), an der viele Betroffene der Myalgischen Enzephalomyelitis/des Chronic Fatigue Syndromes unter anderem leiden? Einige Wissenschaftler vermuten als Ursache seit langem eine erniedrigte ATP-Produktion und/oder beschädigte Mitochondrien. Mitochondrien sind sozusagen die Kraftwerke der Zellen und produzieren Energie in Form des Moleküls ATP (Adenosintriphosphat). Wäre die Energieproduktion in den Zellen eingeschränkt, könnte das die Fatigue bzw. Erschöpfung erklären.  

Die Wissenschaftler aus Stanford und Columbia wollten es genauer wissen und untersuchten mit fünf unterschiedlichen Methoden die Mitochondrien und die ATP-Produktion von CFS-Patienten. Dann verglichen sie die Werte mit denen gesunder Probanden.

Die Forscher fanden erstaunlicherweise keine verringerte, sondern eine erhöhte Energieproduktion bei den CFS-Patienten. Die Zellen produzierten signifikant mehr ATP.

Die Mitochondrien unterschieden sich kaum von denen gesunder Probanden und waren voll funktionsfähig. Diese Ergebnisse stehen im Kontrast zu vorherigen Studien. Die Autoren halten daher eine eingeschränkte Energieproduktion bei ihren CFS-Patienten als Ursache für die schwere Fatigue für unwahrscheinlich. Die Forscher betonen dabei aber, dass es unterschiedliche Patientengruppen geben könnte.

Die Fatigue muss also eine andere Ursache haben. Andere Wissenschaftler diskutieren zum Beispiel ein chronisch aktiviertes Immunsystem oder ein eingeschränktes autonomes Nervensystem.

Ausführliche Informationen zur Studie:

Eine verringerte ATP-Produktion und dysfunktionale Mitochondrien werden immer wieder in der Literatur zu ME/CFS diskutiert (z.B. bei Booth et al. (2013) und Galan F. et al. (2015)), insbesondere als Ursache für die schwere Fatigue, an der viele ME/CFS-Patienten leiden. Die Autoren hielten eine genauere Analyse der Mitochondrien für notwendig, um die bisherigen Ergebnisse zu überprüfen.

Die Autoren verglichen Zellen von 42 CFS-Patienten mit denen 42 gesunder Probanden. Die Blutproben wurden in fünf verschiedenen Kliniken in der USA gesammelt und die gesunden Probanden nach Alter, Geschlecht, geographischer Nähe und Ethnie zugordnet.

Untersucht wurden mononukleäre Zellen des peripheren Blutes (PBMCs), hauptsächlich Lymhopzyten und Monozyten. Die Wissenschaftler untersuchten

  1. das ATP Level in den Zellen,
  2. die innere Membranstruktur der Mitochondrien (Christae),
  3. die Aktivität der Komplexe I-IV der Atmungskette, und
  4. das mitochondriale Membranpotential.

Die Autoren fanden überraschenderweise eine signifikant erhöhte ATP-Produktion in den Zellen (PBMCs) der CFS-Patienten. Die erhöhte Produktion schien allerdings außerhalb der Mitochondrien stattzufinden (z.B. über die anaerobe Glykolyse). Die Mitochondrien unterschieden sich bis auf eine kondensierte innere Membran (Christae) nicht von denen gesunder Probanden. Dichte, Größe, Form, die Komplexe I-IV und das Membranpotential waren normal und unauffällig.

Die Autoren glauben daher nicht, dass eine verringerte Energieproduktion für die Symptome ihrer CFS-Patienten verantwortlich sei. Sie betonen allerdings, dass es unterschiedliche Patientengruppen geben könnte und weitere Studien notwendig seien, um die Rolle von ATP und den Mitochondrien bei der Pathogenese von CFS endgültig zu klären.

Methodische Kritik:

Die Autoren benennen in der Studie nicht die Kriterien, nach denen CFS-Patienten ausgewählt wurden. Es ist also unklar, ob ME/CFS scharf von anderen Krankheiten abgegrenzt wurde. Die Patienten- und Probandenzahl ist ausreichend, um statische Aussagen treffen zu können (vor allem da nur wenige und spezifische Parameter gemessen wurden), die Studie sollte allerdings mit einer größeren Kohorte und spezifischen Kriterien (z.B. CCC, ICC, IOM) repliziert werden. Das ist besonders wichtig, da sie vorherige Studien widerspricht. 

Verbindung mit anderen Studien:

Vorherige Studien kamen zu anderen Ergebnissen und maßen entweder eine verringerte ATP-Produktion (z.B. bei Booth et al. 2012) oder keinerlei Veränderung (z.B. bei Vermeulen, R. C. et al. 2010) bei ME/CFS-Patienten.

dha

(In der Studie wird der Begriff "CFS" verwendet, beziehen wir uns direkt auf die Studie, verwenden wir den Begriff "CFS". Beziehen wir uns auf allgemeine Aussagen oder andere Studien, verwenden wir den Begriff "ME/CFS".)

Quelle:

Lawson N, Hsieh C, March D, Wang X. Elevated Energy Production in Chronic Fatigue Syndrome Patients. Journal of Nature and Science (JNSCI), 2(10):e221, 2016.

Weitere Quellen:

Booth N.E., et al., Mitochondrial dysfunction and the pathophysiology of Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS), Int J Clin Exp Med., 5(3): 208–220., 2012

Galán F., et al., Mitochondrial Myopathy in Follow-up of a Patient With Chronic Fatigue Syndrome, J Investig Med High Impact Case Rep. 2015 Jul-Sep; 3(3): 2324709615607908., 2015

Vermeulen, R. C., et al. Patients with chronic fatigue syndrome performed worse than controls in a controlled repeated exercise study despite a normal oxidative phosphorylation capacity, Journal of Translational Medicine 2010 8:93, DOI: 10.1186/1479-5876-8-93, 2010