Evaluationsstudie zeigt Effektivität von Online-Fortbildungen zu ME/CFS für medizinisches Fachpersonal
Medizinisches Fachpersonal ist oftmals nicht ausreichend über die Symptomatik, Diagnostik und Behandlung von ME/CFS informiert. Hauptgrund hierfür ist die nicht ausreichende Thematisierung von ME/CFS in Studium, Ausbildung und Weiterbildung. Dieses mangelnde Wissen kann z. B. dazu führen, dass ME/CFS-Symptome psychologisiert und potentiell schädliche Aktivierungstherapien empfohlen werden. Es besteht daher ein großer Fortbildungsbedarf bei medizinischem Fachpersonal zu ME/CFS.
Seit der Pandemie sind die Fallzahlen von ME/CFS als Folge einer COVID-19-Infektion gestiegen. Gleichzeitig sind Online-Formate für Fortbildungen nun stark verbreitet und ermöglichen die ortsunabhängige Teilnahme von sehr vielen Personen gleichzeitig. Infolge dieser Entwicklungen wurden seit 2021 mehrere Webinare (Online-Seminare) unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Carmen Scheibenbogen (Charité Universitätsmedizin Berlin) für Ärzt*innen und weiteres medizinisches Fachpersonal zu ME/CFS und Long-/Post-COVID angeboten. Die Webinare enthielten Kurzvorträge von ausgewiesenen Expert*innen in der Forschung und stationären sowie ambulanten Behandlung von ME/CFS. Themenschwerpunkte waren ein allgemeiner Überblick über die Symptomatik und Diagnostik von ME/CFS bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen sowie aktuelle Behandlungsansätze. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS waren an der Organisation beteiligt. Die Fortbildungen sind von Ärztekammern in Deutschland und Österreich akkreditiert. Die Live-Veranstaltungen stießen auf großes Interesse und es besteht weiterhin die Möglichkeit, die Webinare als On-demand-Fortbildung zu besuchen.
In einem von Dr. Laura Froehlich (FernUniversität in Hagen) geleiteten Forschungsprojekt wurde evaluiert, inwieweit die Teilnahme am Webinar das Wissen der Ärzt*innen über ME/CFS erhöht. Die Ergebnisse wurden nun in der internationalen Fachzeitschrift Healthcare veröffentlicht. Ausgewertet wurden zwei Webinare mit jeweils ca. 1000 Teilnehmenden, die im Herbst 2021 und im Herbst 2022 durchgeführt wurden. An der Evaluationsstudie nahmen 378 Personen teil. Die Studie umfasste zwei Befragungszeitpunkte, an welchen die Teilnehmenden jeweils einen Wissenstest zu ME/CFS bearbeiteten. Ein Teil der befragten Personen besuchte zwischen den Befragungszeitpunkten das Webinar, ein anderer Teil bearbeitete zunächst zwei Mal den Wissenstest und besuchte erst danach das Webinar (Wartegruppen-Kontrollgruppen-Design).
Das erste Ziel der Studie war, den grundlegenden Wissens- und Erfahrungsstand der Teilnehmenden festzustellen. Fast 90 % der teilnehmenden Ärzt*innen gaben an, schon mindestens einmal eine*n Patient*in mit ME/CFS behandelt zu haben. Knapp die Hälfte hatte bereits an Studien- oder Fortbildungsveranstaltungen zu ME/CFS teilgenommen. Jedoch gaben signifikant weniger als die Hälfte an, zu wissen, wie man ME/CFS diagnostiziert. Die selbsteingeschätzte Sicherheit bei der Behandlung von Patient*innen mit ME/CFS war ebenfalls nur moderat. Diese Ergebnisse unterstreichen, dass es bei den Teilnehmenden weiteren Fortbildungsbedarf gab.
Das zweite Ziel der Studie war zu untersuchen, ob die Webinar-Teilnahme zu einem Wissenszuwachs führte. Teilnehmende in der Interventionsgruppe, die zwischenzeitlich das Webinar besucht hatten, erreichten beim zweiten Wissenstest im Schnitt eine höhere Punktzahl als beim ersten Wissenstest. Bei Teilnehmenden in der Kontrollgruppe ohne zwischenzeitliche Webinar-Teilnahme zeigte sich jedoch kein signifikanter Wissenszuwachs.
Zusammenfassend hat die Evaluationsstudie ergeben, dass es Fortbildungsbedarf gibt und dass Webinare geeignet sind, um medizinisches Fachpersonal über die Symptomatik, Diagnostik und Behandlung von ME/CFS fortzubilden. Weil die Teilnehmenden sich bereits für ME/CFS und Long-/Post-COVID interessierten und sich freiwillig zur Fortbildung angemeldet hatten, war das Wissen über ME/CFS zu Beginn schon vergleichsweise hoch. Selbst bei diesen bereits interessierten und informierten Personen hatte das Webinar jedoch positive Wissenseffekte. Die Fortbildungsangebote zu ME/CFS sollten also zukünftig ausgebaut werden. Idealerweise sollte ME/CFS bereits in Pflichtveranstaltungen während des Medizinstudiums ausführlicher behandelt werden, damit angehende Ärzt*innen über aktuelle Evidenz zur Diagnostik und Behandlung der Erkrankung informiert werden. Die Originalstudie wurde Open Access veröffentlicht. Wir danken der Weidenhammer-Zöbele-Stiftung für die Übernahme der Publikationskosten.
Hier geht es zur englischsprachigen Originalstudie.
Referenz: Froehlich, L., Niedrich, J., Hattesohl, D. B. R., Behrends, U., Kedor, C., Haas, J.-P., Stingl, M., & Scheibenbogen, C. (2023). Evaluation of a webinar to increase health professionals’ knowledge about Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS). Healthcare, 11(15), 2186. https://doi.org/10.3390/healthcare11152186
Redaktion: laf