Am 12. Mai protestieren Menschen mit ME/CFS weltweit für Anerkennung und Forschung
Zu den 250.000 Menschen mit ME/CFS in Deutschland könnten bis Ende des Jahres bis zu 100.000 weitere ME/CFS-Fälle durch Long Covid kommen
Am 12. Mai ist internationaler ME/CFS-Tag. ME/CFS steht für die schwere neuroimmunologische Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis, auch Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) genannt. Die Krankheit beginnt meist plötzlich mit einer Virusinfektion. ME/CFS zerstört Leben, wird jedoch vom Gesundheitssystem weitgehend ignoriert – trotz Corona-Pandemie. In Deutschland könnten laut Schätzungen von Expert*innen bis zu 100.000 zusätzliche Menschen durch eine Covid-19-Infektion an ME/CFS erkranken.
ME/CFS beginnt meist nach einem Infekt, zum Beispiel einer Infektion mit dem EBV oder der Influenza. Junge, vorher gesunde Menschen erholen sich nicht mehr und werden chronisch krank. In Deutschland sind etwa 250.000 Menschen an ME/CFS erkrankt, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Weltweit sind 17–30 Millionen Menschen betroffen. Über sechzig Prozent der ME/CFSErkrankten werden dauerhaft arbeitsunfähig und viele zu Pflegefällen. Jede:r Vierte ist ans Haus gebunden oder bettlägerig. Die Versorgungslage in Deutschland ist kritisch. Obwohl die Erkrankung seit über fünfzig Jahren von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt und in Schwere und Häufigkeit mit Multipler Sklerose vergleichbar ist, wird sie vom Gesundheitssystem bis heute stark vernachlässigt. Es gibt keine zugelassene Behandlung, keine fachärztliche Betreuung, keine eigene medizinische Leitlinie und ME/CFS ist kein fester Bestandteil der ärztlichen Ausbildung. Das Europäische Parlament verabschiedete 2020 erstmals eine Resolution zur Anerkennung und Erforschung von ME/CFS und beschrieb die Erkrankung als „verborgenes Problem im Gesundheitssystem“.
Die Symptome vieler Menschen mit Long Covid überschneiden sich mit ME/CFS
Das Kernsymptom von ME/CFS ist die „Post-Exertional Malaise“, eine bis zu 48 Stunden verzögert eintretende Verschlechterung der Symptomatik nach geringer kognitiver oder körperlicher Belastung, auch „Crash“ genannt. Mit der belastungsinduzierten Symptomverschlechterung geht eine rapide Reduktion des verbliebenen Funktionsniveaus einher, die Tage oder Wochen andauern oder zu einer bleibenden Verschlechterung führen kann. Zu den weiteren Symptomen von ME/CFS gehören Kreislaufprobleme, Muskel-, Gelenk- und/oder Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen (häufig als „Brain Fog“ bezeichnet), eine schwere Fatigue, Schlafstörungen und ein starkes Grippegefühl.
Symptome, von denen auch eine Subgruppe von Menschen mit Long Covid berichtet. Auch wenn ein großer Teil der Medizin überrascht auf diese Entwicklung reagierte, war Long Covid für Expert*innen und ME/CFS-Patient*innen, die nach einem viralen Infekt wie EBV erkrankten, absehbar. Bereits im Mai 2020 warnte Frau Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen der Charité – Universitätsmedizin Berlin vor den Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung. Sie schätzt, dass 1–2 Prozent der Covid-19-Infizierten ME/CFS entwickeln. Bereits seit 15 Jahren setzt sie sich für ME/CFS-Erkrankte ein.
ME/CFS wurde über viele Jahrzehnte von der Medizin und Politik ignoriert. Fehlende Therapien für Long Covid machen das noch einmal dramatisch sichtbar. Daher ist es an der Zeit, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und angemessen in Forschung und Versorgung zu investieren. Der volkswirtschaftliche Schaden von ME/CFS beträgt viele Milliarden Euro pro Jahr – das menschliche Leid ist nicht messbar.
In Forschung und Versorgung investieren
In den USA wird der Ernst der Lage nun erkannt. Der Kongress bewilligt 1,15 Milliarden US-Dollar zur Erforschung von Long Covid. Die Niederlande verabschiedeten 2021 eine Förderung von 28,5 Millionen Euro für biomedizinische Forschung zu ME/CFS über die nächsten zehn Jahre. Auch Deutschland verabschiedete nach Jahrzehnten zum ersten Mal eine geringe Forschungsförderung: ca. 3,68 Millionen Euro über die nächsten drei Jahre verteilt. Der volkswirtschaftliche Schaden durch ME/CFS beträgt hingegen jährlich etwa 7,4 Milliarden Euro, wenn man die Schätzungen des Europäischen Parlaments von 40 Milliarden Euro Schaden für Europa auf Deutschland überträgt. Eine der Krankheitslast angemessene Förderung für den dringend benötigten Aufbau von Versorgungsstrukturen steht in Deutschland weiterhin aus.
Internationaler ME/CFS-Tag am 12. Mai
Am internationalen ME/CFS-Tag protestieren Erkrankte und ihre Unterstützer*innen jedes Jahr weltweit unter dem Motto #MillionsMissing für Versorgung und Forschung. Dieses Jahr ist das Schlagwort #MillionsMore hinzugekommen, um auf Millionen Menschen aufmerksam zu machen, die durch Covid-19 weltweit zusätzlich an ME/CFS erkranken. In Deutschland hat das Netzwerk #MillionsMissing Deutschland – der Partner der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS – dazu aufgerufen, Postkarten an die Landesparlamente zu schicken. Das Ziel: der Aufbau von Versorgungsstrukturen in jedem Bundesland. Ein begleitender Brief an die Landesparlamente mit konkreten Forderungen ist hier nachzulesen.
Redaktion: tbe, jhe