Prof. Mella verkündete auf der ME/CFS-Forschungskonferenz in Oslo am 21. November, dass die vor Kurzem abgeschlossene Phase III Rituximab-Studie negativ ausgefallen sei. Mella leitet gemeinsam mit Dr. Fluge die ME/CFS-Forschungsgruppe der Abteilung für Onkologie und Medizinische Physik am Universitätsklinikum Haukeland in Bergen, Norwegen. Er erklärte, dass das Team sich entschieden habe, das Ergebnis der Studie schon vor der Veröffentlichung in einem Fachmagazin publik zu machen, da die Studie negativ ausgefallen und Rituxmab vermutlich nicht bei ME/CFS wirksam sei.
Rückblick – darum wird Rituximab als mögliche Therapie für ME/CFS erforscht
Fluge und Mella behandelten im Jahr 2004 eine schwer betroffene ME/CFS-Patientin, da sie zusätzlich an Lymphdrüsenkrebs erkrankt war. Im Rahmen der Chemotherapie verbesserten sich überraschend auch ihre ME/CFS-Symptome, u. a. eine schwere Fatigue und Muskelschmerzen, wegen denen die Patientin seit acht Jahren an ihre Wohnung gebunden und für Arzttermine auf einen Rollstuhl angewiesen war. Die Norweger führten daraufhin 2007 eine kleine Pilotstudie mit dem künstlichen Antikörper Rituximab an drei ME/CFS-Patienten durch. Auch bei den weiteren ME/CFS-Patienten verbesserten sich die Symptome.
Wirkweise von Rituximab
Rituximab ist ein künstlich hergestellter Antikörper gegen den Rezeptor CD20, der auf der Oberfläche von B-Zellen sitzt. B-Zellen sind ein wichtiger Teil des erworbenen Immunsystems und stellen Antikörper gegen verschiedene Pathogene her (Viren und Bakterien). Vor allem für den langfristigen Immunschutz sind B-Zellen äußerst wichtig. Allerdings können B-Zellen bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten ebenfalls „bösartige Autoantikörper“ produzieren, die dann Strukturen und Organe im eigenen Körper angreifen. Es kommt zu (Autoantikörper-vermittelten) Autoimmunkrankheiten wie der Rheumatoiden Arthritis oder Lupus.
Rituximab bewirkt über den CD20-Rezeptor eine B-Zell-Depletion (Zerstörung der aktiven B-Zellen). Ziel ist, dass sich neue, gesunde B-Zellen nachbilden und die „bösartigen“ Autoantikörper verdrängt werden. Neben der Behandlung von B-Zell-Lymphomen (Krebs) wird Rituximab zunehmend auch bei Autoimmunerkrankungen wie der Rheumatoiden Arthritis eingesetzt.
Klinische Studien zu Rituximab und ME/CFS
Im Jahr 2009 veröffentlichten Fluge und Mella eine Beschreibung der drei o. g. Fälle. Danach führten sie eine 12-monatige doppelverblindete (d. h. weder Ärzte noch Probanden wussten, wer Placebo und wer Rituximab erhielt) Pilotstudie mit 30 ME/CFS-Patienten durch. Die im Jahr 2011 veröffentlichten Ergebnisse zeigten moderate bis starke Verbesserungen der Symptomatik bei 67 % der Probanden aus dem Rituximab-Arm. Die folgende Open-Label-Studie (d.h. jeder Proband erhielt Rituximab) mit 29 ME/CFS-Patienten und einer Kontrolle nach 36 Monaten führte zu einer klinisch signifikanten Verbesserung bei 64 %. Fluge und Mella vermuteten daraufhin, dass es sich bei ME/CFS um eine Autoimmunkrankheit handeln könnte, in der sich Autoantikörper gegen den eigenen Körper richten. Ein weiterer Hinweis dafür war die längere Periode bis Rituxmab wirksam wurde (meist drei bis sechs Monate). Dies stimmte mit Erfahrungen bei anderen Autoimmunkrankheiten überein, da nach der Zerstörung der B-Zellen der Körper einige Monate braucht, um die Autoantikörper abzubauen und vollständig auszuwaschen.
Die doppelverblindete, randomisierte Phase III Studie wurde von 2015 bis 2017 mit 152 ME/CFS-Patienten an fünf Krankenhäusern in Norwegen durchgeführt Neben subjektiven Endpunkten gab es als objektive Endpunkte einen Schrittzähler, einen kardiopulmonalen Belastungstest an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, gastrologische Untersuchungen, eine Messung der endothelialen Gefäßfunktion sowie eine Kontrolle nach zwei Jahren. Die Studie wurde u. a. durch eine Crowdfunding-Kampagne von Patienten (es gingen 300.000€ aus 49 Ländern ein) sowie dem Norwegischen Forschungsrat finanziert. Eine weitere Studie in England war für 2018 geplant.
Bedeutung des negativen Ergebnisses der Phase III Studie
ME/CFS-Patienten warten weltweit auf eine wirksame Therapie, die die Krankheit heilen und Symptome kausal lindern kann. Bis heute gibt es kein einziges offiziell zugelassenes Medikament für ME/CFS und kaum große klinische Studien, die neue Medikamente und Therapien erforschen. Früher empfohlene Aktivierungs- und Verhaltenstherapien stehen weltweit unter heftiger methodischer Kritik, da neuere Studien keine signifikante Wirksamkeit belegen konnten und viele Patienten berichten, dass die Therapien im Gegenteil oft zu Zustandsverschlechterungen führen. Die US-amerikanische Behörde CDC strich diese Behandlungsempfehlungen daher in diesem Jahr von ihrer Seite.
Patienten, Angehörige und Ärzte haben daher große Hoffnung auf die Phase III-Studie mit dem Medikament Rituximab aus Norwegen gesetzt.
Was bedeuten die negativen Ergebnisse nun für die Patienten und die internationale Forschung?
Grundsätzlich sind auch negative Ergebnisse wichtig, um die Forschung voranzubringen. Nur so kann ein Forschungsbereich sauber eingegrenzt werden und man kommt einem möglichen Krankheitsprozess näher.
Was negativ in diesem Zusammenhang bedeutet, bleibt bis zur Veröffentlichung der Studie in einem medizinischen Fachmagazin Anfang 2018 abzuwarten. Dass es eine Subgruppe von Patienten gegeben hat, die von Rituximab profitiert, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszuschließen. Auch Autoimmunität bleibt weiter im Gespräch, darauf lassen z. B. andere Studien schließen, die veränderte B-Zellen und Zytokine bei ME/CFS entdeckt haben. Evtl. ist ME/CFS eine diversere Krankheit als angenommen und in den vorherigen Studien kam es zu einem sogenannten Selection Bias. D. h. es wurde unbewusst eine ganz spezielle Gruppe von Patienten ausgewählt. Subgruppen kommen bei vielen Krankheiten vor. So sind inzwischen 17 verschiedene Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis bekannt. Die Rheumatische Arthritis ist nur die bekannteste der rheumatischen Erkrankungen. Es gibt darüber hinaus viele weitere Krankheiten, die ähnliche Symptome verursachen, aber eine völlig andere Ätiologie und Pathophysiologie aufweisen. Beispielsweise gibt es bei der Rheumatoiden Arthritis eine Gruppe von Patienten mit Autoantikörper (seropositiv) und eine Gruppe von Patienten ohne Autoantikörper (seronegativ). Rituximab wirkt besser für die RA-Patienten mit den Autoantikörpern.
Andere Erklärungen für die vorherig positiv ausgefallen Pilot- und Phase II-Studien sind z. B. der Placebo-Effekt und spontane Verbesserungen im natürlichen Krankheitsverlauf.
Es kommt in der Medizin vor, dass Phase III-Studien negativ ausfallen, obwohl vorherige Studien positive Ergebnisse eines Medikaments gezeigt haben. Lupus ist hierfür ein gutes Beispiel. Auch hier fielen zwei größere Rituximab-Studien mit ca. 200 Patienten negativ aus, nachdem man lange große Hoffnungen auf Rituximab gesetzt hatte. Lupus wird durch B-Zellen und Autoantikörper aufrechterhalten, aber eine Zerstörung der Zellen scheint keine signifikante Besserung zu erreichen. Warum das so ist, bleibt unklar.
So bleibt auch unklar, was die negativen Ergebnisse für zukünftige Forschung und ME/CFS bedeuten. Gibt es evtl. verschiedene Subgruppen? Wird versucht werden, eine möglicherweise bestehende kleine Subgruppe, für die Rituximab wirkt, zu identifizieren oder ist das Thema abgeschlossen? Wird die für 2018 geplante Rituximab-Studie in Großbritannien stattfinden? Bisher wurde nicht bekannt gegeben, ob die für 2018 geplante Rituximab-Studie in Großbritannien noch stattfindet. Ein wichtiges Thema ist auch, was die negativen Ergebnisse für die Theorie bedeuten, dass Autoimmunität eine Rolle bei ME/CFS spielt (die u. a. den hohen Anteil von weiblichen Betroffenen erklären könnte, den es bei allen Autoimmunerkrankungen gibt). Ist ME/CFS also eine diversere Krankheit als angenommen? Müssen die Ursachen doch an anderer Stelle gesucht werden? Klar ist, Rituximab scheint generell für ME/CFS nicht wirksam zu sein.
Ausblick – wie geht es weiter?
Prof. Mella aus Bergen äußerte auf der ME/CFS-Forschungskonferenz in Oslo, dass er und Fluge definitiv weiter an ME/CFS forschen werden. Zudem betonte Mella, dass im Rahmen der Studie einige sehr interessante Daten gesammelt wurden. Das Team hat bereits große Erfahrung mit dem Studium von ME/CFS gesammelt und sich in der internationalen Forschung einen Namen gemacht.
So haben Mella und Fluge mit dem Team von Prof. Scheibenbogen an der Charité gemeinsam Daten veröffentlicht und sind im wissenschaftlichen Beirat der Open Medicine Foundation. Fluge und Mella bauten zudem in Norwegen eine Biobank mit Blutproben von 311 mit den Kanadischen Konsenskriterien diagnostizierten ME/CFS-Kranken und 255 gesunden Kontrollen auf, die für weitere Forschungsvorhaben genutzt werden kann. Zwei Studien wurden bereits mit Proben der Biobank durchgeführt: eine Zytokinstudie in Zusammenarbeit mit Dr. Montoya aus Stanford und eine Studie zum eingeschränkten Energiestoffwechsel (wir berichteten). Mella und Fluge forschen neben möglichen Therapien auch am Krankheitsprozess von ME/CFS, der Entwicklung von Biomarkern und dem eingeschränkten Zellstoffwechsel. Ebenfalls im September schloss das Team aus Norwegen eine Phase II-Studie mit einem weiteren Chemotherapeutikum, Cyclophosphamid, ab. Es wurden 40 moderat bis schwer betroffene ME/CFS-Patienten therapiert. Mella sagte auf der Konferenz, die Ergebnisse sähen positiv aus und würden ebenfalls Anfang 2018 veröffentlicht. Eine weitere Phase II-Cyclophosphamid-Studie mit schwer und sehr schwer Erkrankten läuft gerade an. Nicht zu unterschätzen ist auch die große internationale Aufmerksamkeit, die die Rituximab-Studien auf ME/CFS gelenkt haben. Gerade in den letzten fünf Jahren hat die biomedizinische Forschung merklich angezogen und immer mehr internationale Teams beschäftigen sich mit den möglichen Ursachen von ME/CFS. So gründete sich z. B. 2015 das gesamteuropäisches Forschungsnetzwerk EUROMENE (wir berichteten).
Die negativen Ergebnisse der Rituximab-Studie sind für viele Patienten und Angehörige eine große Enttäuschung. Trotz allem wollen wir Mut machen und uns auf die positiven Aspekte der in den letzten Jahren stattgefundenen biomedizinschen Forschung und Kooperation konzentrieren. So werden aktuell noch andere vielversprechende Therapieansätze erforscht. U.a. das Medikament Cyclophosphamid oder die Gabe von hochdosierten Immunglobulinen an der Charité, Berlin (Interview mit Prof. Scheibenbogen). Auch gibt es weltweit einen immer größeren Einsatz die Ursachen der Erkrankung ausfinding zu machen.
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Quelle Bild: Wikimedia Commons, Polyclonal Antibody, Author: Gentaur