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Stellungnahme zu IQWiG-Vorbericht

Stellungnahme zu IQWiG-Vorbericht

Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS hat Ende November eine Stellungnahme zum Vorbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zum „Aktuellen Kenntnisstand zu Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS)“ eingereicht. Die ausführliche Stellungnahme umfasst fast 100 Seiten und fordert aufgrund zahlreicher gravierender Kritikpunkte weitreichende Änderungen am Vorbericht und der Gesundheitsinformation, die im Anschluss unter gesundheitsinformation.de veröffentlicht wird.

Streichung der Empfehlung von CBT und GET

Als wichtigsten Punkt fordert die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS, die Empfehlungen von kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) und ansteigender Aktivierungstherapie (GET) zur Behandlung von ME/CFS zu streichen. Diese Therapien basieren auf der nicht belegten Annahme, dass ME/CFS durch Dekonditionierung und aktivitätsvermeidende Verhaltensweisen aufgrund dysfunktionaler Kognitionen entstehe. Das ME/CFS-Kardinalsymptom Post-Exertional Malaise (PEM), eine physiologisch belegte abnormale Reaktion auf Belastung, wird bei diesen Therapien nicht berücksichtigt oder lediglich zu einer dysfunktionalen Kognition uminterpretiert. Da Zustandsverschlechterungen aufgrund von PEM mehrere Tage, Wochen oder auch anhaltend andauern können, birgt eine Nichtberücksichtigung von PEM ein großes gesundheitliches Risiko für ME/CFS-Betroffene. Das IQWiG stützt sich für die Therapieempfehlung auf drei Studien, deren Evidenz als „niedrige Aussagesicherheit“ eingestuft wird. Die Studien weisen erhebliche methodische Mängel auf, die wir in der Stellungnahme detailliert darlegen, wie z. B. nachträgliche Änderungen an den zentralen Ergebnismaßen, unvollständige Berichtserstattung, die Verwendung veralteter diagnostischer Kriterien, den Einschluss von Personen mit psychischen Begleiterkrankungen oder ohne PEM, und hohe Verzerrungseffekte durch mangelnde Blindung und subjektive Endpunkte. Kritik an den Studien wurde bereits zahlreich in internationalen Fachzeitschriften publiziert und es liegen zahlreiche Patientenumfragen vor, die die schädliche Wirkung von GET/CBT auf den Gesundheitszustand ME/CFS-Betroffener dokumentieren. Wir argumentieren, dass aufgrund der erheblichen methodischen Mängel der Studien und der klaren Evidenz für ein erhebliches Schadenspotenzial der Therapien für ME/CFS-Kranke, die vom IQWiG getätigten Nutzenaussagen und Behandlungsempfehlungen für CBT und GET nicht zulässig sind, dem internationalen Konsens widersprechen und folglich gestrichen werden müssen.

Korrektur der Prävalenzschätzung

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Korrektur der Schätzung der Anzahl von ME/CFS-Betroffenen in Deutschland, die wir ausführlich erörtern. Das IQWiG gibt im Vorbericht eine Schätzung von 70.000 Betroffenen an. Diese Zahl stützt sich auf Prävalenzstudien mit bereits diagnostizierten ME/CFS-Patient*innen und vernachlässigt die extrem hohe Dunkelziffer von ME/CFS-Betroffenen ohne Diagnose. Wir fordern auf Basis von bevölkerungsbasierten Prävalenzstudien, die Schätzung auf (präpandemisch) rund 270.000 Menschen mit ME/CFS in Deutschland – 217.000 Erwachsene und 51.000 Kinder/Jugendliche – zu korrigieren.

Weitere Änderungsvorschläge

Weitere Änderungsvorschläge beziehen sich unter anderem auf eine detailliertere Beschreibung der ME/CFS-Symptomatik und der Schweregrade der Erkrankung, die Berücksichtigung von aktueller Evidenz zu Infektionserkrankungen als Auslöser von ME/CFS und der Beteiligung des Immunsystems an der Entstehung von ME/CFS. Weitere Anmerkungen beziehen sich auf die Darstellung der medizinischen Versorgungssituation von ME/CFS-Patient*innen in Deutschland. Wir fordern, dass vom IQWiG klar benannt wird, dass der Kenntnisstand von medizinischem Fachpersonal aufgrund der mangelnden Aus- und Weiterbildung zu gering ist, ME/CFS Inhalt der Aus- und Weiterbildung sein muss, es eine breit angelegte Aufklärungskampagne braucht sowie den Aufbau eines Netzwerks von interdisziplinären Ambulanzen und Kompetenzzentren, weitere Vergütungsmöglichkeiten ärztlicher Leistungen und den Ausbau der Forschung.

Entwurf der Gesundheitsinformation

Der letzte Teil des Vorberichts enthält einen Entwurf für die Gesundheitsinformationen zu ME/CFS, die nach Veröffentlichung des Berichts zur Aufklärung der Öffentlichkeit online gestellt wird. Daher ist grundlegend wichtig, dass die Informationen und Formulierungen zutreffend sind und wir haben detaillierte Änderungsvorschläge erarbeitet. Auch in diesem Teil fordern wir insbesondere, dass die Behandlungsempfehlungen zu CBT und GET gestrichen werden. Zu schwerem und sehr schwerem ME/CFS sollte es einen eigenen Abschnitt oder gesonderte Erwägungen unter jedem Punkt geben. Weitere Änderungsvorschläge beziehen sich unter anderem darauf, dass die ME/CFS-Symptomatik, die verschiedenen Schweregrade und die Methode des Pacings umfassender dargestellt werden, und dass PEM bei der Diagnostik berücksichtigt werden muss. Zudem sollte darauf eingegangen werden, dass nur ein Viertel der Betroffenen eine Berufstätigkeit ausüben können und dass bei Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS umfassende Anpassungen nötig sind, um einen reduzierten und flexiblen Schulbesuch oder alternative Formen der Beschulung zu ermöglichen.

Wir fordern weiterhin, dass die ME/CFS-Patientenorganisationen und Expert*innen – wie im Vorfeld vom Bundesministerium für Gesundheit zugesichert – in die endgültige Ausarbeitung der Gesundheitsinformation fest einbezogen werden.

Die vollständige 99-seitige Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS kann hier abgerufen werden:

Im nächsten Schritt findet am 12. Dezember eine mündliche wissenschaftliche Erörterung der Stellungnahmen zum Vorbericht des IQWiG statt, an der die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS teilnimmt. Wir haben auch bereits an der mündlichen wissenschaftlichen Erörterung zum Berichtsplan im letzten Jahr teilgenommen, das Transkript (ab S. 1) und unsere letzte Stellungnahme (ab S. A2) können hier nachgelesen werden. Das Transkript der kommenden Anhörung wird nächstes Jahr mit dem fertigen Bericht veröffentlicht.

Bildquelle: IQWiG
Redaktion: lfr