Stimmen aus dem Team 1

„Und jetzt alle: Eine Subgruppe von Long COVID hat ME/CFS“

„Und jetzt alle: Eine Subgruppe von Long COVID hat ME/CFS“

Stimmen aus dem Team

In unserer neuen Rubrik „Stimmen aus dem Team“ haben unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden die Möglichkeit, aktuelle Themen und Entwicklungen rund um ME/CFS zu kommentieren.

Ein Kommentar von Torben, Teammitglied der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS.

(K)ein neuer Kontinent

Menschen, die nach einem schleichenden Verlauf die ME/CFS-Kriterien erfüllen, haben ME/CFS.
Menschen, die nach einer EBV-Infektion die ME/CFS-Kriterien erfüllen, haben ME/CFS.
Menschen, die nach einer Influenza die ME/CFS-Kriterien erfüllen, haben ME/CFS.
Menschen, die nach SARS-CoV-1 (2002) die ME/CFS-Kriterien erfüllen, haben ME/CFS.
Menschen, die nach SARS-CoV-2 die ME/CFS-Kriterien erfüllen, haben … Long COVID. Post-COVID. PASC. Nur ME/CFS haben sie bestimmt nicht, wenn es nach der Meinung vieler Mediziner geht.

Ein Kontinent ist nicht neu, nur weil die Europäer ihn vorher nicht kannten. Es ist an der Zeit, die einzelnen Krankheiten zu benennen, die als Langzeitfolgen einer SARS-CoV2-Infektion auftreten können. Es ist an der Zeit, aufzuhören, von einem neuen diffusen Krankheitsbild zu sprechen. Neben unterschiedlichen Organschäden (inklusive neurologischer Schäden), POTS und weiteren Krankheitsbildern erfüllen nach 6 Monaten viele Menschen die Kanadischen Konsenskriterien und haben damit ME/CFS. Sie können auch noch andere virusspezifische Symptome oder Organschäden haben. Dies schließt sich – wie bei ME/CFS nach anderen Auslösern – nicht aus.

Amerika war trotz Columbus so wenig Indien, wie ME/CFS chronische Fatigue ist. Wenn ME/CFS im Kontext von Long COVID erwähnt wird, wird es teils fälschlicherweise auf das Symptom Fatigue reduziert. Hingegen wird die Vielzahl der angeblich über ME/CFS hinausgehenden Symptome bei Long COVID betont. Fakt ist: ME/CFS ist eine eigenständige chronische Erkrankung mit dem Kardinalsymptom Post-Exertional Malaise (eine Belastungsintoleranz) und einer Vielzahl von weiteren Symptomen wie beispielsweise Kreislaufproblemen (OI), Schmerzen, Atemnot bei Belastung, grippeähnlichen Symptomen, kognitiven Problemen (Brain Fog, bei Long COVID neuerdings auch COVID-Fog genannt, weil … COVID), und vielen mehr.

Wenn Studien die ME/CFS-Kriterien abfragen, zeigt sich, dass ca. 50 % der Long-COVID-Erkrankten, mit Symptomen über 6 Monate hinaus, diese erfüllen (z. B. hier und hier). Die Kriterien werden in der Regel nur nicht abgefragt. Im Jahr Nummer 4 der Pandemie sollten sich Forscher in die Historie postviraler Krankheit eingelesen haben. Aber ME/CFS ist zum „Voldemort“ vieler Long-COVID-Ärzte weltweit geworden – die Krankheit, die nicht genannt werden darf. Der erste Long COVID Kongress glich außerhalb der von den Patient*innenorganisationen organisierten Sessions in manchen Teilen einem Tabu-Spiel: Man durfte die Symptome beschreiben, ME/CFS aber nicht benennen.

Stattdessen wird ME/CFS nicht erwähnt oder wird als Krankheitsbild aufgeführt, welches grobe Ähnlichkeiten hat oder auf das Symptom Fatigue reduziert. Ohne die Diagnosekriterien abgefragt zu haben zu behaupten, die Krankheit sei nicht da, ganz anders, oder nur ein geringes Problem, ist wie sich ohne Geigerzähler neben den zerstörten Reaktor von Fukushima zu stellen und zu sagen, von Strahlung sei nichts zu sehen. Die klinischen Instrumente sind da. Es gibt einen validierten Fragebogen zum Nachweis des Kernsymptoms Post-Exertional Malaise (PEM) sowie konsentierte klinische Diagnosekriterien für ME/CFS. Stattdessen wird gerne auf das Fehlen von Auffälligkeiten in Blut oder MRT verweisen.

Man kann eine Krankheit nicht jahrzehntelang NICHT erforschen, nur um dann das Fehlen eines Biomarkers als Beweis für die Abwesenheit einer körperlichen Erkrankung zu nehmen. Absence of evidence is not evidence of absence. Das Fehlen eines Biomarkers ist der Marker für abwesende biomedizinische Forschung, nicht für die Abwesenheit einer biomedizinischen Ursache. Genauso wenig lassen sich aus Messergebnissen falsch geeichter Instrumente Rückschlüsse erzielen. So werden bei Long-COVID-Studien Fragebögen wie der Depressionsfragebogen PHQ-9 genutzt, die für eine gesunde Grundgesamtheit entwickelt wurden, um Thesen zu einer Verbreitung von Depression aufzustellen. Bei Fragen zu gestörtem Schlaf, mangelnder Energie, Konzentrationsschwierigkeiten oder verlangsamter Bewegung können fälschlicherweise auch körperliche Symptome von ME/CFS-Erkrankten nach COVID-19 gemessen werden. Interpretiert werden diese Werte jedoch häufig als eine Depression.

Long COVID: Endstation Psychosomatik

In einem Video der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) zum Thema Long COVID wird klar unterschieden zwischen den „Post-COVID“-Erkrankten mit nachweisbaren Schäden und den Menschen mit „Long COVID“ mit „Körperbeschwerden“. Der Begriff Körperbeschwerden platziert die Symptome eindeutig in den Bereich der Psychosomatik und funktionellen (eine bewusst verschleiernde Formulierung für psychisch, die nach „funktional“ klingen soll) Störungen. Die Behandlung: Sport- und aktivierende Psychotherapie, die jedoch beim Vorliegen von Post-Exertional Malaise kontraindiziert sind.

In einem Artikel zu funktionellen Körperbeschwerden gibt der Wissenschaftsverlag Thieme bereits im ersten Satz den Ton vor: „Behandler erleben Patienten mit funktionellen Körperbeschwerden oft als ‚schwierig‘“. Womit sich der Kreis zu ME/CFS schließt. In einem Lehrvideo für Ärzte über den Umgang mit Menschen mit ME/CFS heißt es: „Es kann sehr frustrierend sein mit Menschen mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom zu arbeiten“. Der Arzt aus dem Video der DGPM hat auch eine klare Meinung zu Menschen mit ME/CFS, die er seit Jahren öffentlich verbreitet: „Die gleichen Menschen, die im Kontext von Lebenszielen, die als nicht erreichbar angesehen werden, chronisch müde sind, zeigen bei der Verfolgung eines anderen Ziels offenbar keine Anzeichen von Erschöpfung.“ In der S3-Leitlinie für Funktionelle Körperbeschwerden heißt es: „Für manche Patienten ist die Krankenrolle trotz aller Nachteile und nicht nur aufgrund von materiellen Vorteilen attraktiv. Manche entwickeln durch die Beschwerden eine neue Identität, z. B. als ‚tapfere Behinderte‘ oder als ‚Umweltopfer‘, mit neuen Aufgabenfeldern und Sozialkontakten.“ Hier wird systematisch ein kritisches Bild von Patienten gezeichnet, aus dem sie nur schwer wieder rauskommen.

Bei Kritik heißt es dann „man müsse den Menschen als Ganzes betrachten“, was an dieser Stelle ein Ablenkungsmanöver ist, weil die Annahme ganz offensichtlich ist, dass die „Körperbeschwerden“ psychischer Natur und dementsprechend zu behandeln sind. Und dann kommt das nächste Strohmannargument: Erkrankte würden ihre psychische Erkrankung nur nicht annehmen wollen, weil psychische Krankheiten stigmatisiert seien. Die Realität ist aber: jemand, der eine Erkrankung hat, möchte ganz einfach, dass die Erkrankung zutreffend diagnostiziert und behandelt wird. Viele Menschen mit ME/CFS wünschten sich zusätzlich einen Psychotherapeuten, mit dem sie die Verluste, den behördlichen Wahnsinn und das medizinische Gaslighting verarbeiten können. In der Regel ist dann jedoch die einzige Therapie, die sie bekommen, weiteres Gaslighting. Minus mal Minus macht hier nur leider nicht Plus. Der Schaden wird nur noch größer. Klar ist, dass alles was gerade passiert, sich in ähnlicher Form bereits für ME/CFS abgespielt hat. Mit schlimmen Folgen. Menschen mit Long COVID müssen ihre eigenen Schlüsse dazu ziehen.

Auf den Schultern von Giganten

Nimmt man die Berichte von Erkrankten, wird in der Behandlung von Long COVID vielerorts nach dem Prinzip „Alles was rot ist, ist eine Tomate“ behandelt. Fatigue ist Fatigue und wird deshalb mit Aktivierung behandelt, weil man das immer schon getan hat, auch, wenn sie mit vielen weiteren Symptomen und PEM einhergeht.

Eine Steigerungsform der kognitiven Dissonanz ist, sich an den Konzepten von ME/CFS zu bedienen, die Krankheit aber nicht zu benennen. Diejenigen, die die Weitsicht haben, nicht einfach alte Aktivierungsmodelle auf ein „neues Krankheitsbild“ zu stülpen, weil sie bemerken, dass es einem Teil der Kranken nach Aktivität schlechter geht, haben die Belastungsintoleranz (der Name PEM wird teils ignoriert) und das Pacing für sich entdeckt. Also das Kardinalsymptom von ME/CFS und das Krankheitsmanagement, das speziell dafür in den 80ern entwickelt wurde. Die Forschung hierzu musste zu großen Teilen durch Spenden von Betroffenen finanziert werden. Doch nicht nur mit ihren letzten Ersparnissen und kleinen Renten, auch mit ihrer Restgesundheit haben viele ME/CFS-Erkrankte dafür bezahlt, dass heute evidenzbasierte Konzepte wie PEM und Pacing bestehen und aufgrund mangelnder Evidenz keine Aktivierung mehr empfohlen wird. Beispielsweise erstritt Alem Matthees von 2014 bis 2016 die anonymisierten Rohdaten der einflussreichen PACE-Studie (ein bewusst verwirrend gewählter Name, es geht um Aktivierung, nicht um Pacing) von der Queen Mary University of London, die erfolglos 250.000 Pfund für Anwälte ausgab, um dies zu verhindern. Die Rohdaten zeigten, dass keine Evidenz für Bewegungstherapie und aktivierende Verhaltenstherapie vorliegt. Danach erlitt Matthees eine drastische Zustandsverschlechterung, muss seitdem von seiner Mutter gepflegt werden, kann nur noch Trinknahrung zu sich nehmen und über Handzeichen kommunizieren. Dass Cochrane derzeit endlich das international viel zitierte Exercise-Review zu ME/CFS von Grund auf überarbeitet, das mit kontraindizierten Empfehlungen ohne Evidenz viel Leid verursacht hat, ist dem jahrelangen Einsatz von Robert Courtney und weiteren Patient*innen zu verdanken. Jedoch erlebte Courtney die Ankündigung von Cochrane im Jahr 2019, dass das Review neu erstellt werde, nicht mehr, da er im Jahr zuvor in seinen 40ern verstarb. Die lange Liste könnte fortgeführt werden: Seit den 80er Jahren engagieren sich – oft schwerkranke – ME/CFS-Patient*innen für eine evidenzbasierte Behandlung und für Forschung.

Gewollt oder nicht, führt das Ignorieren von ME/CFS dazu, dass Menschen mit ME/CFS nach Jahrzehnten der Diskriminierung, wieder diskriminiert werden. Dies ist jedoch nur der Anfang.

Die 2-Klassen-Krankheit: Wer Long COVID sagt, muss auch ME/CFS sagen

Seit Jahrzehnten erleben ME/CFS-Erkrankte ihre persönliche Version von Kafkas „Der Prozess“, nur können sie diese Dystopie nicht wie ein Buch beiseitelegen. Ehemals energetische Kinder und Jugendliche finden sich plötzlich vor Schulpsychologen wieder, die ihnen vorwerfen keine Lust auf Schule zu haben, während sie sich nichts mehr wünschen, als wieder zusammen mit ihren Freunden gesund und unbeschwert zu spielen und zu lernen. Hart arbeitende Menschen, die mit der letzten verbleibenden Kraft versuchen, dass ihr Leben nicht auseinanderbricht und ihr soziales Umfeld verlieren, müssen sich von Gutachtern der Kranken- und Rentenversicherung anhören, sie seien gar nicht krank.

Überhaupt eine Diagnose zu bekommen gleicht einem Glücksspiel. Wer als Erwachsener nicht in Berlin oder Brandenburg oder als Kind nicht in Bayern wohnt, wird an keiner Ambulanz diagnostiziert. Doch wehe dem, der nach (jahre)langer Suche und vielen Ärzten ohne ernsthafte Antworten, selbst auf ME/CFS im Internet gestoßen ist und Hilfe sucht. Denn genauso verdächtig wie eine große Mappe mit Befunden, ist der Verdacht auf eine Diagnose aus dem Internet. Beides gilt als „Biomarker“ für eine psychische Erkrankung. Wer eine dicke Mappe UND einen Verdacht mitbringt, kann sich die Überweisung zum Psychiater gleich selbst ausstellen.

Auf dem Papier haben es Menschen leichter, die ME/CFS nach einer SARS-CoV-2-Infektion entwickeln. Ca. 90 Long-COVID-Ambulanzen gibt es, die diese Erkrankten aufsuchen können. In der Realität werden an vielen der Anlaufstellen jedoch nur körperliche Schäden ausgeschlossen oder klassische Rehabilitationsprogramme mit Sport empfohlen. Aus Beschreibungen von Long-COVID-Erkrankten scheint es am Ende nur eine Handvoll Ambulanzen zu sein, die tatsächlich ein Grundverständnis von postviralen Erkrankungen haben. So etwas wie ein Fazit für die Versorgungssituation liefern die Eltern eines schwer Erkrankten in einem Zeit-Artikel: „Man muss Angst vor Ärzten haben.“ Eine Aussage, die eine Berufsgruppe wachrütteln sollte.

Beschreibungen zufolge haben es ME/CFS-Erkrankte nach COVID-19 genauso schwer wie diejenigen nach anderen Auslösern, wenn es um die Anerkennung von einem Grad der Behinderung, Pflegegrad, einer Erwerbsminderungsrente oder Berufsunfähigkeitsversicherung geht. Diese Anträge landen in vielen Fällen vor Gericht.

Die Stelle, an der die zwei Klassen der Erkrankung am stärksten zum Tragen kommen, ist die Forschung. Weltweit wird stark (wenn auch nicht genug) in Long-COVID-Forschung investiert. Gibt die USA jährlich ca. 15 Millionen Euro für ME/CFS-Forschung aus, verabschiedete der Senat bereits 2021 eine Förderung von über einer Milliarde Euro für SARS-CoV-2 und die Langzeitfolgen. Auch in Deutschland wurden im selben Jahr ca. 6 Millionen Euro Forschungsförderung für Long COVID bereitgestellt. Eine Zahl, die in Deutschland in den letzten 50 Jahren in Summe noch nicht für ME/CFS ausgegeben wurde. Ein erster Hoffnungsschimmer sind die nun zugesagten 10 Millionen Euro für die Therapiestudien zu ME/CFS und das Post-COVID-Syndrom der Nationalen Klinischen Studien-Gruppe.

Haben Long-COVID-Forscher*innen von ME/CFS gehört, geben sie sich gerne gönnerhaft: Erkenntnisse aus der Long-COVID-Forschung würden vielleicht auch ME/CFS-Erkrankten zugutekommen. Konservative Schätzungen gehen von einer Verdopplung der ME/CFS-Erkrankten durch COVID-19 aus. Frei übersetzt sagen diese Forscher*innen: Für die Hälfte der Menschen mit ME/CFS, die nicht durch COVID-19 erkrankt sind, immerhin 17–30 Millionen weltweit, sind die wissenschaftlichen Brotkrumen der COVID-Forschung völlig ausreichend. Diese Menschen sind teilweise seit Jahrzehnten krank und diskriminiert. Warum haben sie weniger Recht auf die Erforschung ihrer Krankheit, als diejenigen, die erst frisch erkrankt sind?

Der Fokus auf die Erforschung von ME/CFS nach COVID-19 als gut definierte Gruppe greift zu kurz. Viele Erkrankte berichten von Symptomen, die sich im Laufe der Jahre verändern. Will man diese Krankheit grundlegend erforschen, sollte man alle „Stadien“ der Krankheit und Auslöser involvieren.

Besonders schwierig wird die Lage bei Therapiestudien. Ein Beispiel aus dem Bereich nicht-medikamentöser Behandlungen: Long-COVID-Betroffene ohne PEM profitieren von klassischen Rehabilitationsprogrammen, während Aktivierung und Sport den Zustand von Betroffenen mit PEM immer weiter verschlechtert. Werden für Studien keine Subgruppen definiert, droht ein Desaster, so wie bei der (verwirrend benannten) PACE-Studie für ME/CFS. Breite Einschlusskriterien und fehlende quantitative Erfolgsmessung nach vorher veröffentlichten Erfolgskriterien führten dazu, dass jahrelang international Sport und aktivierende kognitive Verhaltenstherapie als Behandlungen für ME/CFS empfohlen wurden – für die kein Nachweis der Wirksamkeit vorliegt, die aber im Gegenteil Betroffenen massiv schaden können. Blickt man auf die vom BMBF geförderten Projekte ist dies eine ernst zu nehmende Gefahr für „Long COVID“-Erkrankte, die noch keine ME/CFS-Diagnose haben (ICD G93.3). Bei Studien zu Long COVID muss daher die Subgruppe mit PEM und ME/CFS-Symptomatik identifiziert werden.

Umgekehrt ist es problematisch, wenn Therapiestudien für die Gruppe mit ME/CFS nach COVID-19 unter dem Label Long COVID gemacht werden. Sind diese erfolgreich, werden die Kosten für diese Therapie für die restlichen ME/CFS-Erkrankten nicht übernommen. Bis Gelder für eine entsprechende ME/CFS-Studie organisiert sind und die Studie durchgeführt wurde, könnten Jahre vergehen, in der die Erkrankten auf eine Therapie warten. Eine Verschwendung von Steuergeldern und Lebenszeit der Erkrankten.

Es ist daher moralisch, medizinisch und wirtschaftlich wichtig die einzelnen Krankheiten, die unter dem Dachbegriff „Long COVID“ zusammengefasst sind, zu benennen, mit Rücksicht auf die jeweiligen Anforderungen zu behandeln, Studien darauf auszurichten und ME/CFS mit anderen Auslösern in Studien zu ME/CFS nach COVID-19 mit einzubeziehen.

Zusammen können die Communities mehr erreichen

Diese Spaltung ist in der Regel kein Thema unter Betroffenen selbst. Die ME/CFS-Community und ihre Patientenorganisationen haben Long-COVID-Erkrankten früh zur Seite gestanden, über Konzepte wie PEM und Pacing informiert und vor Überlastung gewarnt. Die Initiative #MEAction hat sogar eine Kampagne mit dem Namen „Stop. Rest. Pace.“ auf den Weg gebracht, um Long-COVID-Erkrankte über PEM und Pacing aufzuklären. Online liest man immer wieder, dass Menschen, die an Long COVID litten, sagen, dass die Informationen sie gerettet haben, sie sich verstanden fühlten, durch die Ratschläge ihre körperliche Abwärtsspirale aufhalten konnten und (zumindest teilweise) durch frühzeitiges Pacing wieder arbeitsfähig wurden. Es darf keine zwei Klassen geben. Am Ende muss die gesamte ME/CFS-Community, egal mit welchem Auslöser, gemeinsam für eine bessere Versorgung und Erforschung der Krankheit kämpfen. Die fast 100.000 Unterschriften, die innerhalb von vier Wochen die ME/CFS-Petition #SIGNforMECFS unterstützten, haben gezeigt welche Stärke die Community aufbringen kann.

Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS und Long COVID Deutschland haben den „Nationalen Aktionsplan für ME/CFS und das Post-COVID-Syndrom“ erarbeitet. Ziel ist ein Versorgungsstandard in den Kompetenzzentren, der allen Menschen mit ME/CFS und weiteren Subgruppen von Long COVID eine bedarfsgerechte Versorgung ermöglicht (neueste Entwicklungen stimmen hier leider nicht optimistisch). Auch in der Forschung sollen die Krankheitsbilder gleichermaßen erforscht werden. Die enge Zusammenarbeit zwischen ME/CFS- und Long-COVID-Organisationen ist in Europa einmalig. Während einige  medizinische Institutionen weiter versuchen, die Spätfolgen von COVID-19 mit bewusst irreführenden Interpretationen von Studienergebnissen klein zu reden, versuchen die Patientenorganisationen zusammen mit einer kleinen Handvoll Professor*innen Versorgung und Forschung zu organisieren. Verkehrte Welt? Nicht, wenn man die Historie von ME/CFS kennt: Denn Wegschauen wurde lange trainiert.

Hinweis:
Mit dem Vergleich zur sogenannten „Entdeckung“ Amerikas soll auf keinen Fall das Leid der Native Americans verharmlost werden.

Zum Teammitglied:
Torben ist selbst an ME/CFS erkrankt und unterstützt die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS über die Woche verteilt und je nach Zustand für 2–3 Stunden die Woche (Hinweis an die DRV und das Sozialgericht: das sind weniger als 3 Stunden pro Tag). Im Schwerpunkt hilft er bei der Öffentlichkeitsarbeit und manchmal im Bereich Politik.
Torben mag Katzen und geblindete randomisierte Studien mit primärer Erfolgskontrolle durch objektive/quantitative Erfolgsmessung, klinischer Phänotypisierung anhand neuster internationaler Diagnosestandards und Transparenz durch Vorveröffentlichung der Forschungsprotokolle.

Redaktion: tel