Brain Fog

kognitive Dysfunktion bei ME/CFS

Brain Fog (deutsch: Gehirnnebel) ist die von ME/CFS-Betroffenen verwendete Bezeichnung für die häufig zusammen auftretenden neurokognitiven Symptome. Typisch für die kognitiven Einschränkungen bei ME/CFS sind eine verlangsamte Informationsverarbeitung, erhebliche Wortfindungs- und Sprachstörungen, ein gestörtes Kurzzeitgedächtnis sowie eine eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit. Die Kognition wirkt wie „verklebt“, die richtigen Worte werden nicht gefunden und die Erkrankten vergessen im Satz, was sie sagen wollten. Multitasking ist nicht mehr möglich. Dazu können Wahrnehmungs- und sensorische Störungen wie Desorientierung, räumliche Unsicherheit, verschwommene Sicht und Fokussierungsprobleme kommen (siehe Internationale und Kanadische Konsenskriterien).

Die kognitiven Einschränkungen sind häufig stark ausgeprägt und beeinträchtigen die Lebensqualität von ME/CFS-Patient*innen erheblich. In schweren ME/CFS-Fällen kann die kognitive Dysfunktion so stark sein, dass nicht einmal mehr Videos angeschaut werden können und kohärente Gespräche schwer fallen oder Sprechen gar nicht mehr möglich ist.

Brain Fog verstärkt sich in der Regel durch kognitive Anstrengung (z. B. Gespräche führen oder konzentriertes Lesen) sowie orthostatische Belastung (aufrechtes Sitzen oder Stehen) und kann mittels Pacing möglichst auf Baseline-Niveau gehalten werden.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

  • Kognitive Leistungsfähigkeit sinkt nach körperlichem Training ab: Während gesunde Proband*innen nach submaximalem körperlichem Training bei der Wiederholung eines neuropsychologischen Tests besser abschneiden, sinkt die Leistung von ME/CFS-Patientinnen weiter ab (Cook et al., 2017) (siehe auch Post-Exertionelle Malaise).
  • Eingeschränktes Arbeitsgedächtnis nach orthostatischem Stress: Unmittelbar nach einem Kipptischtest erzielen ME/CFS-Betroffene weniger richtige Antworten bei einem n-back-Test (Indikator für die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses) als in Ruhe (Campen et al., 2020) (siehe auch Orthostatische Intoleranz).
  • Bildgebungsverfahren zeigen Auffälligkeiten während kognitiver Tests: Bei gleicher kognitiver Leistung aktivieren ME/CFS-Betroffene tendenziell mehr Hirnregionen. Ein möglicher Kompensationsmechanismus aufgrund von Energiemangel, denn bei ME/CFS-Betroffenen zeigt sich im Gehirn regional ein eingeschränkter Energiestoffwechsel (Hypometabolismus) (Shan et al., 2020).

Pathomechanistische Erklärungsansätze

Zentraler und mehrfach replizierter Befund bei ME/CFS ist die Minderdurchblutung des Gehirns (zerebrale Hypoperfusion) (Renz-Polster et al., 2022). Dieser Befund könnte für die Erklärung des Brain Fog bei ME/CFS-Betroffenen eine wichtige Rolle spielen, denn Voraussetzung für eine volle Funktionsfähigkeit des Gehirns ist eine ausreichende Sauerstoffversorgung. In fMRT-Studien zeigen sich bei ME/CFS Auffälligkeiten im BOLD-Kontrast (Bildgebung anhand des Blutsauerstoffgehalts im Gehirn), die auf eine eingeschränkte Blutflussreaktion und damit eingeschränkte Blutversorgung von aktivierten Hirnregionen hindeuten (eingeschränkte neurovaskuläre Kopplung) (Shan et al., 2018). Mittels Positronenemissionstomographie (PET) zeigt sich bei ME/CFS zudem ein regional reduzierter Hirnstoffwechsel (Tirelli et al., 1998; Siessmeier et al., 2003). Hierfür könnte die verminderte Verfügbarkeit von Sauerstoff ein Grund sein (Joseph et al., 2021).

Ein weiterer PET-Befund bei ME/CFS ist die verstärkte Aktivierung von Mikroglia und Astrozyten (Immunzellen im Zentralen Nervensystem), ein Indikator für Neuroinflammation (Nakatomi et al., 2014). Auch für die Neuroinflammation könnte oxidativer Stress (Sauerstoffmangel) ein wichtiger Faktor sein (Renz-Polster et al., 2022).

Neben der zerebralen Hypoperfusion ist ein weiterer zentraler und mehrfach replizierter Befund bei ME/CFS die gestörte Gefäßweitenregulation, endotheliale Dysfunktion genannt (Haffke et al., 2022). Eine funktionierende Gefäßweitenregulation ist wichtig für die Blutzirkulation im gesamten menschlichen Körper. Zudem werden bei ME/CFS-Patient*innen (Bynke et al., 2020) und bei Long COVID-Betroffenen (Wallukat et al., 2021; Mardin et al.,2022; Szewczykowski et al., 2022) Autoantikörper gegen gefäßweitenregulierende Rezeptoren gefunden, deren Level bei ME/CFS mit der Symptomschwere inklusive kognitiver Einschränkung korreliert (Tanaka et al., 2003; Freitag et al., 2021; Sotzny et al., 2022). Während einige Studien die Autoantikörper auch bei gesunden Proband*innen finden (Loebel et al., 2016), finden andere Studien die Autoantikörper bei gesunden Kontrollen nicht oder nur selten (Hohberger et al., 2019), möglicherweise aufgrund unterschiedlicher verwendeter diagnostischer Testverfahren.

Weiterführende Informationen

  • Deutsche Gesellschaft für ME/CFS: Pacing als Strategie zum Krankheitsmanagement bei ME/CFS → Link
  • Ärzteportal der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS → Link