ME/CFS-Informationsblätter

Hier finden Sie Informationsblätter für Ärzt*innen, Pflegende, Lehrkräfte, Erkrankte und Angehörige zu wichtigen Themen rund um die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS). Die Informationsblätter geben jeweils einen kurzen komprimierten Überblick. Sie sind modular aufgebaut und verweisen aufeinander, können aber auch einzeln verwendet werden. Hinweise auf weiterführende Literatur ermöglichen zudem, die Themen zu vertiefen. Weitere Themen sind in Arbeit.

Die Informationsblätter wurden von der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS in Kooperation mit dem Charité Fatigue Centrum der Charité Berlin, dem Chronischen Fatigue Centrum für junge Menschen der TU München und einer Grafikerin erstellt.

Sie finden im ersten Abschnitt einen Überblick über alle Informationsblätter inklusive PDFs und Verlinkungen zur weiterführenden Literatur. Im zweiten Abschnitt finden Sie zusätzlich die Volltexte.

Informationsblatt: ME/CFS – Übersicht

Das Informationsblatt gibt eine kurze Übersicht über mögliche Krankheitsauslöser von ME/CFS, die Symptome, das Leitsymptom Post-Exertionelle Malaise (PEM) und geht auf die Prävalenz und Schwere der Erkrankung ein.

Informationsblatt: ME/CFS – Diagnose, Behandlung und Hinweise zur Betreuung

Das Informationsblatt ist eine Übersicht zu Diagnosestellung, Schweregraden und häufigen Komorbiditäten. Ärzt*innen erhalten zudem Hinweise für eine symptomorientierte Behandlung und angemessene Betreuung in der Praxis.

Informationsblatt: ME/CFS – Pacing (Kurzversion)

Das Informationsblatt zum Pacing beschreibt, warum es für ME/CFS-Erkrankte wichtig ist innerhalb der eigenen Energiegrenzen zu bleiben, um PEM, bzw. einen Crash zu verhindern und welche Strategien und Hilfsmittel dabei helfen können.

Informationsblatt: ME/CFS – Krankenhaus: Aufenthalt, Operation und Anästhesie

Das Informationsblatt gibt eine kurze Übersicht zu den wichtigsten Symptomen von ME/CFS und geht auf die Herausforderungen ein, die aufgrund der starken Einschränkungen bei Krankenhausaufenthalten auftreten können. Darauf basierend werden Tipps für den Umgang mit den Erkrankten sowie die Unterbringung gegeben. Für Operationen und Anästhesie werden die Empfehlungen der ME/CFS Clinician Coalition kurz zusammengefasst.

Informationsblatt: ME/CFS – Informationen für die Schule

Das Informationsblatt gibt Lehrkräften und Mitschüler*innen einen knappen Überblick über die relevanten Symptome von ME/CFS im Schulkontext und zeigt Ansätze auf, wie Teilhabe und Bildung für erkrankte Schüler*innen ermöglicht werden können.

Informationsblätter im Volltext

Informationsblatt: ME/CFS – Übersicht

Die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine stark einschränkende chronische Erkrankung, die viele Körpersysteme betrifft und oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. Die WHO stuft ME/CFS seit 1969 als neurologische Erkrankung ein (ICD-10-GM G93.3; ICD-11-GM 8E49; USA: ICD-10-CM G93.32). Meist tritt ME/CFS postinfektiös auf (nach Infektion mit Erregern, wie z. B. EBV, Influenzavirus, Enteroviren oder SARS-CoV-2), aber auch andere Auslöser, z. B. OP, HWS-Trauma, sind beschrieben. Der Verlauf kann rasch progredient, episodisch oder schleichend sein, der Auslöser ist anamnestisch nicht immer genau zu ermitteln. Fluktuationen in der Schwere der Symptomatik sind nicht selten. In Studien wurde eine familiäre Häufung beschrieben. Die pathogenetischen Mechanismen sind noch nicht vollständig geklärt. Angenommen werden Autoimmunprozesse und damit zusammenhängende Störungen des autonomen (vegetativen) Nervensystems, komplexe Störungen der Kreislauf- und Gefäßregulation (endotheliale Dysfunktion, Minderdurchblutung, Hypovolämie) und des Energiestoffwechsels. Zum jetzigen Zeitpunkt ist keine kausale Therapie verfügbar, eine symptomorientierte Therapie kann jedoch zur Linderung der Beschwerden, Stabilisierung und Steigerung der verbliebenen Lebensqualität führen sowie gegebenenfalls langfristig zu einer Verbesserung des Funktionsniveaus beitragen. Remissionen werden meist nur in den ersten Jahren beobachtet; sie sind bei erkrankten Kindern und Jugendlichen häufiger als bei Erwachsenen. Nach langfristiger Chronifizierung ist eine vollständige Genesung ohne kausale Therapie unwahrscheinlich.

Das Krankheitsbild wurde in den letzten Jahrzehnten medizinisch und gesundheitspolitisch vernachlässigt und nicht ausreichend erforscht. Die begrenzte Berücksichtigung der Erkrankung in den Ausbildungsprogrammen der Gesundheitsberufe führt zu Fehldiagnosen, Missinterpretation der Symptomatik, kontraproduktiven Therapien und behindert eine bedarfsgerechte Versorgung. Im Zuge der anhaltend steigenden Fallzahlen von ME/CFS im Rahmen der Langzeitfolgen auch milder COVID-19 (Long/Post-COVID), wird dem Krankheitsbild mittlerweile deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Forschung und Versorgung rücken weltweit in den Fokus.

Symptome

Die Symptomatik von ME/CFS ist durch einen deutlich reduzierten allgemeinen Funktionsstatus mit krankhafter Erschöpfung (Fatigue) und geringem Belastungsniveau charakterisiert. Weitere Symptome sind Schlafstörungen, neurokognitive Einschränkungen wie Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen (auch als „Brain Fog“ bezeichnet), Kreislaufprobleme im Stehen oder Sitzen (orthostatische Intoleranz), Muskel-, Gelenk-, Nerven- und/oder Kopfschmerzen, eine ausgeprägte Reizsensibilität vor allem gegenüber Geräuschen und Licht sowie immunologische Symptome, wie z. B. geschwollene Lymphknoten, wiederkehrende Halsschmerzen und ein grippeähnliches Krankheitsgefühl, dazu eventuell neu aufgetretene Allergien und Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel.

Die Grafik zeigt, dass bei ME/CFS körperliche und geistige Tätigkeiten zu einer Verschlechterung aller Symptome führen kann.

Das Leitsymptom von ME/CFS ist jedoch die Post-Exertionelle Malaise” (PEM)

Charakteristisch bei ME/CFS ist die Verschlechterung aller Symptome nach Alltagsaktivitäten, die vor der Erkrankung problemlos vertragen wurden, die sogenannte Post-Exertionelle Malaise (PEM). Diese kann Folge von körperlicher, inklusive orthostatischer, kognitiver und emotionaler Aktivität sein. Die PEM ist verpflichtend für die Diagnose ME/CFS.

Bei der PEM handelt es sich um eine lange anhaltende, deutliche Verschlechterung der Symptomatik, die von Betroffenen oft als „Crash“ bezeichnet wird. Die belastungsinduzierte Symptomverschlechterung kann bis zu 48 Stunden verzögert auftreten und geht oft mit einer rapiden Reduktion des verbliebenen Funktionsniveaus einher, die Tage oder Wochen andauern kann. Die PEM kann zu einer bleibenden Zustandsverschlechterung – bis hin zur kompletten Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit – führen. Je nach Schweregrad kann PEM bereits nach leichten alltäglichen Tätigkeiten auftreten: Einkaufen, Arztbesuch, Spaziergang, leichte Haushaltstätigkeiten, Unterhaltung, Lesen, Schulunterricht, Treffen mit Freunden – bei sehr schweren Verlaufsformen bereits durch Umlagerung oder Körperpflege im Bett, Berührung und/oder Licht- bzw. Geräuschreize.

Prävalenz

Die Prävalenz von ME/CFS wurde präpandemisch auf etwa 0,3 % der Bevölkerung geschätzt. Vom IQWiG wurden präpandemisch bis zu 300.000 betroffene Erwachsene und bis zu 90.000 betroffene Schüler*innen geschätzt. Demzufolge stellt ME/CFS keine seltene Erkrankung dar und war vor der COVID-19-Pandemie ähnlich häufig wie die Multiple Sklerose (MS). Infolge der COVID-19-Pandemie könnte sich die Zahl der Betroffenen in Deutschland und weltweit verdoppelt haben. Weibliche Jugendliche und Frauen sind etwa dreimal so häufig betroffen wie postpubertäre Jungen und Männer, ähnlich wie bei vielen Autoimmunerkrankungen. ME/CFS kann in jedem Alter auftreten, zeigte präpandemisch jedoch zwei Altersgipfel: zwischen 10 und 19 im Jugendalter sowie zwischen 30 und 39 Jahren. Die Lebensqualität von Betroffenen jeden Alters ist oft sehr stark eingeschränkt. Etwa ein Viertel ist nicht mehr in der Lage, das Zuhause zu verlassen, ein Teil bettlägerig und pflegebedürftig. Mehr als 60 % der Betroffenen sind arbeitsunfähig. Die wirtschaftlichen Kosten von ME/CFS sind beträchtlich, mit Schätzungen von jährlich 7,4 Mrd. Euro Schaden allein in Deutschland und 40 Mrd. Euro in Europa.

Informationsblatt: ME/CFS – Diagnose, Behandlung und Hinweise zur Betreuung

Die Myalgische Enzephalomyelitis / das Chronische Fatigue Syndrom (ME/CFS) tritt meist postinfektiös auf (oft infolge einer Infektion mit Epstein-Barr-Virus, Influenzavirus, Enteroviren oder SARS-CoV-2), aber auch andere Auslöser, z. B. OP oder HWS-Trauma, sind beschrieben. In weniger als 1/3 der Fälle ist ein infektiöser Auslöser anamnestisch nicht zu ermitteln. Bei jungen Erkrankten war eine symptomatische Erstinfektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) präpandemisch für 40 % der Fälle benannt worden. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist derzeit COVID-19 ein häufiger Auslöser (Trigger). Der Verlauf kann rasch progredient, episodisch oder schleichend sein. Fluktuationen in der Schwere der Symptomatik sind nicht selten. In Studien ist eine familiäre Häufung beobachtet worden. Als eigenständige klinische Entität ist ME/CFS gegenüber dem Symptom einer chronischen Fatigue abzugrenzen, die begleitend bei vielen anderen Erkrankungen, wie z. B. Krebs, Autoimmunerkrankungen oder Depression, auftreten kann.

Diagnose anhand klinischer Kriterien und Schweregrad

Die Diagnose des ME/CFS basiert auf klinischen Kriterien. International haben sich die Kriterien des Institute of Medicine (IOM-Kriterien) sowie die etwas engeren Kanadischen Konsenskriterien (CCC) etabliert. Beide werden von dem europäischen ME/CFS-Netzwerk EUROMENE und der DEGAM empfohlen, die IOM-Kriterien auch von den CDC in den USA. ME/CFS (G93.3) umfasst einen umfangreichen, klar definierten Symptomkomplex. Zwingend erforderlich ist die Post-Exertionelle Malaise (PEM), eine Zustandsverschlechterung nach Belastung (siehe Informationsblatt ME/CFS – Übersicht) zusammenmit einer schweren Fatigue, die den allgemeinen Funktionsstatus erheblich beeinträchtigt. Begleitend sind Schlafstörungen, Schmerzen, neurokognitive, autonome, neuroendokrine und/oder immunologische Symptome. Die Diagnosestellung erfordert eine Krankheitsdauer ohne Besserungstendenz von 6 Monaten für Erwachsene, bei Kindern und Jugendlichen von 3 Monaten. Bei Verdacht auf PEM sollte bereits vor Ablauf der per Definition notwendigen Krankheitsdauer ein Selbstmanagement mittels Pacings (siehe Informationsblatt ME/CFS – Pacing) bedacht werden. Für die Erfassung der Schwere, Häufigkeit und Dauer der PEM gibt es einen von Leonard A. Jason entwickelten Fragebogen (DSQ-PEM). Es handelt sich nicht um eine Ausschlussdiagnose im strengen Sinne, weil die Diagnose auch bei Vorliegen anderer Erkrankungen gestellt werden kann. Eine gewissenhafte differentialdiagnostische Betrachtung sollte natürlich erfolgen.

ME/CFS wird in vier Schweregrade unterteilt: mild/moderat/schwer/sehr schwer, wobei zu beachten ist, dass ein milder Schweregrad bereits mit deutlichen Funktionseinschränkungen (50 % Reduktion des vorherigen Belastungsniveaus) einhergeht. Das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigungen kann mit Hilfe der Bell-Skala quantifiziert werden. Den Kriterienkatalog inklusive Bell-Skala sowie weitere Unterlagen zur Diagnostik (u. a.  PEM-Fragebogen, Protokolle für dieMessung der Handkraft und der orthostatischen Intoleranz (OI) bzw. eines begleitenden posturalen Tachykardiesyndroms (POTS) mittels passivem 10-Minuten-Stehtest), finden Sie im Ärztebereich auf der Homepage des Charité Fatigue Centrums (CFC): cfc.charite.de

Die TU München hat zudem zusammen mit der Charité in Berlin, der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS und Leonard A. Jason einen Fragebogen für die ärztliche Praxis entwickelt, um die Diagnose und quantitative Symptomerfassung zu erleichtern (Munich Berlin Symptom Questionnaire/MBSQ). Auch dieser ist im Ärztebereich abrufbar.

Symptomorientierte Behandlung

Derzeit gibt es noch keine kausale Therapie für ME/CFS. Eine symptomorientierte Therapie ist dennoch möglich und kann die Lebensqualität der Erkrankten positiv beeinflussen und ggf. langfristig zu einer Verbesserung der Symptomatik beitragen. Das wichtigste und wesentliche Element des Krankheitsmanagements stellt das Pacing dar. Beim Pacing geht es darum, strikt unterhalb der durch die Krankheit vorgegebenen, pathologischen Belastungsgrenze zu bleiben, um keine Post-Exertionelle Malaise (PEM) auszulösen und so eine Verschlechterung der Symptomatik und des Gesundheitszustands bestmöglich zu verhindern. Im Zentrum des Pacings steht die Schonung. Ziel des Pacings ist NICHT, die Belastungsgrenze auszuweiten, sondern eine weitere Krankheitsprogression aufzuhalten. Oftmals erfordert Pacing eine gezielte Entlastung (körperlich, kognitiv, emotional) der Betroffenen. Informationen hierzu finden Sie auf dem entsprechenden separaten Informationsblatt.

Darüber hinaus lassen sich Schlafstörungen, Schmerzen, dysautonome und orthostatische Symptome mit nicht-medikamentösen und medikamentösen Strategien behandeln. Bei der medikamentösen Therapie ist zu beachten, dass die Dosierung bei ME/CFS manchmal gegenüber anderen Indikationen abweicht. Dem Off-Label-Use einiger Medikamente werden positive Effekte zugeschrieben, teilweise wurde dies in kleinen explorativen Studien belegt.

Hinweise zu den Medikamenten finden Sie auf den verlinkten Artikeln unter diesem Abschnitt, auf der Seite des Charité Fatigue Centrums und im Ärzteportal der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS.

Komorbiditäten:

Häufige Komorbiditäten bei ME/CFS (exemplarische Nennung, keine Vollständigkeit):

POTS (Posturales Orthostatisches Tachykardiesyndrom, ICD-10 G90.80). Eine Form der orthostatischen Intoleranz infolge einer dysautonomen Störung. Diagnostik: Passiver 10-Minuten-Stehtest (NASA-Lean-Test)

SFN (Small-Fiber-Neuropathie, ICD-10 G62.88): Schädigung der kleinen peripheren Nervenfasern, vorrangig für die autonome Innervation und Schmerzinnervation. Diagnostik: Nervenfaserdichtebestimmung in der Haut-Stanz-Biopsie

Fibromyalgie (ICD-10 M79.7)

Endometriose (ICD-10 N80.9)

Ehlers-Danlos-Syndrom (ICD-10 Q79.6). Diagnostik: Beighton-Score

Versorgung mit Hilfsmitteln / weitere Verordnungen

Im Rahmen des niedrigen Funktionsniveaus können entlastende Maßnahmen wie Duschhocker oder Mobilitätshilfen wie ein (Elektro-)Rollstuhl hilfreich sein. Kompressionsstrumpfhosen (CCL 2) oder Leibbinden sind in der Therapie eines POTS hilfreich. Unterstützung im Haushalt und bei der persönlichen Pflege kann über Pflegeleistungen beantragt werden. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Kenntnisse zu ME/CFS in vielen Bereichen der Versorgungsstrukturen unzureichend sind und die Schwere der Einschränkungen durch das verzögerte Eintreten von PEM oftmals bei Praxisbesuchen oder häuslichen Visiten/Begutachtungen unterschätzt wird. Bei Überweisungen oder weiteren Therapie-Verordnungen ist ein Hinweis auf die bestehende Verschlechterung nach Belastung (PEM) hilfreich, um den Therapieerfolg nicht zu gefährden. 

Hinweise zur Betreuung in der Praxis

Für ME/CFS-Erkrankte ist der Besuch in Praxis oder Klinik meist ein großer Kraftakt, der häufig zu PEM führt. Um die negativen Folgen eines Arztbesuchs zu minimieren, sollte den Patient*innen, wenn möglich, eine Liege zum Warten angeboten werden und/oder die Wartezeit minimiert werden. Eine empathische, vertrauensvolle Grundeinstellung ist gefordert. Viele Betroffene haben eine Ärzt*innen-Odyssee hinter sich, oftmals mit Stigmatisierung und Bagatellisierung ihrer Beschwerden aufgrund mangelnden und veralteten Wissens im Gesundheitssystem. Einfache Sprache im geräusch- und lichtreduzierten Umfeld und Pausen helfen bei der Informationsverarbeitung bei „Brain Fog“ bzw. neurokognitiver Einschränkung. Eine vertraute Person zur Begleitung kann den Arztbesuch erleichtern. Schriftliche Medikations- und Therapiepläne unterstützen die Behandlung bei Gedächtnisstörungen. Schwer- und Schwersterkrankte können ihre Wohnungen in der Regel nicht mehr verlassen und/oder sind an das Bett gebunden. Hier können Hausbesuche und telemedizinische Betreuung notwendig sein, um eine Versorgung überhaupt zu gewährleisten. Weiterführende Diagnostik muss an die Kapazitäten der Patient*innen angepasst werden. Ein Fachärzt*innenbesuch oder Klinikaufenthalt können bei schwerer PEM eine dauerhafte Verschlechterung herbeiführen und sollten sorgfältig durchdacht und geplant werden. Eine adäquate Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse dieser Patient*innengruppe ist im stationären Setting bislang kaum möglich.

Grundsätzlich ist eine enge, sektorenübergreifende, multiprofessionelle Zusammenarbeit wichtig. Diese beinhaltet auch sozialmedizinische Maßnahmen und angemessenen psychologischen Support der Betroffenen und ihrer Familien bei der Bewältigung der schweren chronischen Erkrankung (Coping). Pädiatrischer Expertenrat wird Behandelnden in digitalen Fallkonferenzen am MRI Chronische Fatigue Centrum für junge Menschen (MCFC) der TU München angeboten (Anmeldung: sekretariat.mcfc@mri.tum.de). Über das sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) der Universität Würzburg können digitale Schulungen für Betroffene, ihre Familien und Lehrkräfte gebucht werden.

Informationsblatt: ME/CFS – Pacing

Bei Myalgischer Enzephalomyelitis / Chronischem Fatigue Syndrom (ME/CFS) verschlechtern sich Symptome und Gesundheitszustand durch Überlastung bzw. wenn die individuelle, pathologisch erniedrigte Belastungsgrenze durch körperliche und/oder kognitive Tätigkeiten, aber auch emotionale Faktoren sowie sensorische Belastung überschritten wird. In Folge tritt das Kernsymptom der Erkrankung auf: die Post-Exertionelle Malaise, kurz PEM (siehe Informationsblatt ME/CFS – Übersicht). Diese wird von Betroffenen auch „Crash“ genannt.

Pacing bezeichnet eine wichtige Strategie des Krankheitsmanagements bei ME/CFS und beschreibt einen reflektierten, schonenden Umgang mit den eigenen Energieressourcen und ein darauf ausgerichtetes Energie- und Aktivitätsmanagement. Beim Pacing geht es darum, strikt unterhalb der durch die Krankheit vorgebenen Belastungsgrenze zu bleiben, um keine PEM auszulösen und so eine Verschlechterung der Symptomatik und des Gesundheitszustands zu verhindern. Man kann Pacing mit „sich das eigene Tempo und den möglichen Kraftaufwand vorgeben“ umschreiben.

Kern des Pacings ist es, erste Anzeichen einer Überlastung wahrzunehmen und diese durch angepasstes Agieren (meist Aktivitätsreduktion) gezielt zu vermeiden. Pacing hat das Ziel, die Symptomlast so gering wie möglich zu halten, trägt damit zur Steigerung der Lebensqualität bei und kann den Zustand der Betroffenen stabilisieren. Es stellt keine kausale Therapiemöglichkeit dar, kann jedoch die mit PEM verknüpfte Krankheitsprogression ggf. aufhalten und langfristig zu einer Zustandsverbesserung beitragen.

Ein erster Schritt kann die gezielte Reduktion von Aktivitäten für einige Tage sein (z. B. um 50 %), um eine möglicherweise bereits bestehende PEM zu brechen und die eigene Baseline kennenzulernen. In der Folge können meist Überlastungsauslöser identifiziert werden. Langfristiges Ziel sollte ein bestmögliches Agieren unterhalb der individuellen Überlastungsschwelle sein. Da das individuelle Belastungsniveau und die Symptomschwere schwanken können, müssen Aktivitäten an die Tagesform angepasst werden. Aktivitäts- und Energiemanagement erfordern eine Anpassung der Lebensgestaltung und Entlastung durch Dritte. Folgende Leitfragen können hilfreich sein: Welche Aktivitäten sind weniger wichtig und was kann ich weglassen? Kann jemand behilflich sein? Kann ich der Tätigkeiten im Sitzen oder Liegen oder mit Hilfsmittel nachgehen? Kann zwischen kognitiven und physischen Tätigkeiten abgewechselt werden? Welche Symptome kündigen eine PEM an und wann muss ich spätestens Pause machen, um PEM zu vermeiden? Insgesamt gilt die 4-P-Regel fürs Pacing: priorisieren, planen, pausieren sowie sich und die Umgebung richtig positionieren.

Welche Aktivitäten (noch) möglich sind, hängt von der Schwere der Erkrankung ab. PEM lässt sich zumeist nicht immer verhindern, da exogene Belastungsfaktoren (z. B. Infektionen, Arztbesuche etc.) nicht gänzlich vermeidbar sind. Bei höheren Schweregraden der Erkrankung können bereits Alltagsaktivitäten wie Essen und Körperpflege PEM auslösen, bei Schwerstkranken bereits Ansprache und/oder Berührung.

Zwischen Aktivitäten sind „echte“ Pausen ohne sensorische Stimulation sehr hilfreich. In Pausen sollten Erkrankte vollständig ruhen (kein Fernsehen, kein Social Media, kein Buch). Viele Betroffene berichten davon, dass ihnen Reizabschirmung, z. B. durch Isolationskopfhörer, Schlafmasken und/oder Sonnenbrillen hilft. Manchen hilft es, in der Pause zu meditieren oder autogenes Training zu praktizieren.

Hilfsmittel

Werkzeuge wie Aktivitätstagebücher, Pacing-App oder Schrittzähler können dabei helfen, Aktivitätsmuster und Überlastungsauslöser zu identifizieren und zu objektivieren. Viele Erkrankte nutzen Herzfrequenzmesser wie Smartwatches oder Fitnessarmbänder, um Aktivitäten und deren physiologische Effekte besser zu erfassen. Schüler*innen können durch Fernunterricht mittels Schul-Miniroboter und Schreibhilfen unterstützt werden.

Informationsblatt: ME/CFS – Krankenhaus: Aufenthalt, Operation und Anästhesie

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine schwere chronische Erkrankung, die mit einer Dysregulation des autonomen Nervensystems und des Immunsystems einhergeht. Die Symptomatik von ME/CFS beinhaltet schwere körperliche und kognitive Fatigue, belastungsinduzierte Symptomverschlechterung, Schlafstörungen, neurokognitive Einschränkungen wie Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen, eine orthostatische Intoleranz, Muskel-, Gelenk-, Nerven- und/oder Kopfschmerzen, eine ausgeprägte Reizsensibilität vor allem gegenüber Geräuschen und Licht sowie immunologische Symptome, wie z. B. geschwollene Lymphknoten, wiederkehrende Halsschmerzen und ein allgemeines, grippeähnliches Krankheitsgefühl. Auch Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten können neu auftreten. Die Erkrankung führt oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung (siehe Informationsblatt ME/CFS – Übersicht). Das Leitsymptom der Erkrankung ist die Post-Exertionelle Malaise (PEM), eine Verschlechterung aller Symptome und des Allgemeinzustands nach körperlicher oder kognitiver Belastung. Eine PEM kann Tage bis Wochen anhalten. ME/CFS-Kranke müssen Aktivitäten an ihr Belastungsniveau und ihre Symptomatik anpassen sowie regelmäßig Ruhepausen einlegen.

Je nach Schweregrad können bereits einfache, auch pflege- und therapiebezogene Tätigkeiten wie Wege im Krankenhaus, der Gang zur Toilette, Grundpflege, physiotherapeutische Behandlungen oder medizinische Untersuchungen, aber auch Konzentration erfordernde Tätigkeiten (z. B. lange Anamnesegespräche oder Gespräche mit komplexem Informationsgehalt) zu einer Symptom- und Gesundheitsverschlechterung führen. Bei vorliegender Reizüberempfindlichkeit können auch Licht, Geräusche, (starke) Gerüche und/oder Berührung eine PEM auslösen. Eine schweregradadaptierte, symptomorientierte Anpassung an die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen ist daher nötig, um Zustandsverschlechterungen zu minimieren. Vor allem die Versorgung Schwer- und Schwerstbetroffener, meist komplett bettlägeriger Patient*innen, stellt sehr hohe Anforderungen an das Setting inklusive maximaler Reizreduktion (Einzelzimmer, Gehörschutz, Zimmerverdunkelung, minimaler taktiler Stimulation) und Schulung/Sensibilisierung aller in der Betreuung der Patient*innen involvierten Personen.

Weitere Hinweise zur Versorgung Schwer- und Schwerstbetroffener finden Sie auf der Seite des Charité Fatigue Centrums (cfc.charite.de) und im Ärzteportal der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS.

Eine empathische, vertrauensvolle Grundeinstellung ist gegenüber den Erkrankten gefordert. Einfache Sprache im geräuschreduzierten Umfeld hilft der Informationsverarbeitung unter neurokognitiven Einschränkungen. Schriftliche Medikations- und Therapiepläne sowie Begleitung bei Wegen innerhalb der Klinik unterstützen bei Gedächtnisstörungen. Ein Rollstuhl kann nötig sein, um lange Wege zurückzulegen. Sozialdienst und Koordination der poststationären Versorgung über ein patient*innenorientiertes, individuell adaptiertes Entlassmanagement können hilfreich sein.

Stationärer Aufenthalt

Die britische NICE-Leitlinie empfiehlt zur stationären Aufnahme von ME/CFS-Erkrankten:

  • Vorbesprechung der örtlichen Gegebenheiten und Ausstattungen des Krankenhauses mit den Erkrankten und/oder Angehörigen.
  • Einleitung von Maßnahmen zur Reduktion von Symptomschüben und PEM während des Transports ins Krankenhaus und danach, z. B. indem die Route im Voraus geplant wird, laute Bereiche vermieden werden und die Person bei der Ankunft direkt auf die Station gebracht wird.
  • Besprechung des individuellen Pflege- und Betreuungsbedarfs im Vorfeld mit den Erkrankten und/oder Angehörigen, einschließlich Informationen zu Komorbiditäten, Unverträglichkeiten, Sensitivitäten und bekannten Triggern von PEM, um alle erforderlichen angemessenen Anpassungen zu planen.
  • Vorhalten eines Einzelzimmers mit Bad.
  • Beschränkung von Stimuli auf ein Minimum, z. B. durch konsentierte Dosierung von Untersuchungen/Konsilen, Instruktion aller Konsiliarii, Einzelgespräche, ruhige Bewegungen und Gesten, keine redundanten Beurteilungen, vorsichtigen Umgang mit Berührungsdruck, gedämpftes Licht und Möglichkeiten der Zimmerverdunklung, Reduktion von Geräuschen, Gewährleistung einer stabilen Temperatur, Minimierung von Gerüchen.

Empfehlungen für Operationen und Anästhesie

Die ME/CFS Clinician Coalition führt auf ihrer Seite eine Reihe von spezifischen Empfehlungen für Operationen und Anästhesie bei ME/CFS auf. Hier die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  • Sicherstellung adäquater Kalium- und Magnesiumwerte, präoperative Substitution bei niedrigen oder grenzwertigen Werten zur Vermeidung kardialer Arrhythmien unter Narkose.
  • Prä- und postoperative großzügige Flüssigkeitssubstitution, da oft vorbestehende Hypovolämie und erhöhte Neigung zu Synkopen.
  • Katecholamine, Sympathomimetika, Vasodilatatoren und blutdrucksenkende Mittel sollten mit Vorsicht eingesetzt werden.
  • Histaminfreisetzende Anästhetika (z. B. Thiopental) und Muskelrelaxantien (z. B. Curare, Atracurium und Mivacurium) sollten nach Möglichkeit vermieden werden.
  • Propofol, Midazolam und Fentanyl werden im Allgemeinen gut vertragen.
  • Aufgrund einer ausgeprägten Empfindlichkeit ME/CFS-Betroffener für Sedativa sollten sedierende Medikamente (Benzodiazepine, Antihistaminika und Psychotropika) niedrig titriert bis zum gewünschten therapeutischen Effekt aufdosiert bzw. sparsam eingesetzt werden.
  • Häufig werden Nahrungsergänzungsmittel und pflanzliche Präparate eingenommen. Diese sollten, wenn möglich, mindestens eine Woche vor der Operation abgesetzt werden.
  • Eine bereits bestehende Kortisolsubstitution sollte fortgeführt werden oder bei schwerer ME/CFS-Erkrankung nach entsprechender Diagnostik (Kortisol im 24-Stunden-Urin und ACTH-Stimulationstest) erwogen werden.

Informationsblatt: ME/CFS – Informationen für die Schule

Was ist ME/CFS?

Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) ist eine schwerwiegende Erkrankung, die sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene betrifft. Die Krankheit beginnt meist nach viralen Infektionserkrankungen (z. B. Pfeiffersches Drüsenfieber, Influenza oder COVID-19). Der Gesundheitszustand kann über Wochen und Tage, aber auch innerhalb eines Tages schwanken. Bei leichten Ausprägungen der Erkrankung kann der Alltag mit Einschränkungen sowie mit Reduktion von Stunden und Verpflichtungen ggf. gemeistert werden, in schweren Fällen können Erkrankte das Haus oder Bett nicht mehr verlassen.

Wichtigste Symptome:

  • Post-Exertionelle Malaise (PEM): Eine Verschlechterung des Zustands nach körperlicher oder geistiger Anstrengung, die vor der Erkrankung gut vertragen wurde, oft mit Verzögerung von bis zu 48 Stunden auftretend. Für ME/CFS-Erkrankte ist es daher wichtig innerhalb der eigenen Energiegrenzen zu bleiben (siehe Informationsblatt ME/CFS – Pacing), um eine Verschlechterung zu verhindern.
  • „Brain Fog“: Kognitive Einschränkungen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisprobleme (Erkrankte beschreiben eine Art vernebelten Kopf).
  • Körperliche Symptome wie Kreislaufprobleme (z. B. Schwindel, Kopfschmerzen beim Sitzen/Stehen), Muskelschwäche, Schmerzen, grippeartiges Gefühl und Schlafstörungen.
  • Reizüberempfindlichkeit (v. a. Geräusche, Licht).

Einfluss auf das Schulleben

ME/CFS ist eine ernsthafte, langwierige Erkrankung, die das Schulleben erheblich beeinträchtigen kann. Einerseits ist Schule für Kinder und Jugendliche mit ME/CFS, die aufgrund ihrer Erkrankung oft isoliert sind, auf sozialer und emotionaler Ebene sehr wichtig. Andererseits stellt die Schule für sie eine der größten Herausforderungen dar: Sie sind vielen Reizen ausgesetzt, durch das Lernen kognitiv stark beansprucht und der Schulweg, die Strecken zwischen den Klassenräumen und das lange Sitzen sind eine große körperliche Belastung. Dies sind Faktoren, die eine PEM bzw. Verschlechterung der Symptomatik auslösen können. Die durch den eingeschränkten Schulbesuch verpassten Unterrichtsinhalte können aufgrund der geringen Belastbarkeit in der Regel zu Hause nicht adäquat nachgearbeitet werden. Daher ist ein enger und vertrauensvoller Austausch zwischen den Eltern und Lehrer*innen hilfreich, damit die Lehrkräfte die Leistungsfähigkeit des Kindes einschätzen können. Zur Entlastung können Stunden und Verpflichtungen reduziert werden. Aufgrund der Schwere ihrer Symptome sind manche Kinder und Jugendliche mit ME/CFS gar nicht mehr in der Lage, die Schule zu besuchen. In solchen Fällen können digitaler/Hybrid-Unterricht, Lernroboter, oder ähnliche technische Hilfsmittel eingesetzt werden, um den Unterricht von zu Hause aus zu ermöglichen und den sozialen Kontakt zu Mitschüler*innen aufrechtzuerhalten.

Prüfungen: Aufgrund ihrer weitgehenden Einschränkungen ist es in der Regel gerechtfertigt, den Schüler*innen mit ME/CFS einen Nachteilsausgleich bei Prüfungen zu gewähren und/oder von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung abzuweichen. Ein Vorrücken auf Probe kann sinnvoll sein, da im jungen Alter eine, wenngleich in der Regel langsame, Genesung möglich ist.

Sportunterricht: Schüler*innen mit ME/CFS sollten in der Regel vom Sportunterricht befreit werden. ME/CFS-Erkrankte können durch fremdbestimmte körperliche Anstrengungen, wie sie im Sportunterricht üblich sind, ernsthafte Verschlechterungen ihres Gesundheitszustands bis hin zu vollständiger chronischer Bettlägerigkeit erfahren.

Erleichterungen: Es ist wichtig, individuelle Anpassungen und Unterstützungen zu schaffen, die den Schüler*innen helfen, trotz ihrer Erkrankung am Schulgeschehen teilzunehmen. Dies kann spezielle Sitzarrangements, Ruheräume, die Reduzierung von Stunden oder die Bereitstellung von zusätzlichen Materialien für das Lernen zu Hause umfassen. Ein Buddy-System kann hilfreich sein.