Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen.

Deutlich längere Regenerationsdauer nach Anstrengung bei ME/CFS

Deutlich längere Regenerationsdauer nach Anstrengung bei ME/CFS-Betroffenen im Vergleich zu Gesunden

In einem kürzlich in der Fachzeitschrift Medicina erschienenen Artikel untersuchte ein Forschungsteam aus den USA, inwieweit ME/CFS-Betroffene längere Regenerationszeit nach körperlicher Anstrengung benötigen als Gesunde.

Post-Exertional Malaise (PEM), die Verschlechterung der Symptomatik nach geringer körperlicher und geistiger Anstrengung, ist das Hauptsymptom von ME/CFS. Jedoch ist in der Forschung bisher wenig darüber bekannt, nach welcher Belastungsintensität welches Ausmaß von PEM zu erwarten ist.

Die Reaktion auf Anstrengung und die Regeneration nach Anstrengung wird durch zwei aufeinander folgende kardiopulmonale Belastungstests (CPETs, Belastung von Herz und Lunge) untersucht. Der erste CPET misst die grundlegende Fähigkeit, Energie zu produzieren und erzeugt bei ME/CFS-Betroffenen PEM. Der zweite CPET wird 24 Stunden später durchgeführt und misst, inwieweit die Leistung vom ersten CPET wiederholt werden kann. ME/CFS-Betroffene sind in der Regel nicht in der Lage, die Leistung des ersten CPETs beim zweiten CPET nochmals zu zeigen (die anaerobe Schwelle und maximale Sauerstoffkapazität sinken ab), was ein Indikator für PEM ist.

Methode

Das Ziel der Studie war nun, PEM von ME/CFS-Betroffenen im Zeitverlauf nach den beiden CPETs mit gesunden Kontrollen zu vergleichen, die nicht regelmäßig Sport treiben. Dabei wurden die Teilnehmenden so lange über ihre PEM befragt, bis diese vollständig abgeklungen war und somit das Energielevel von vor dem ersten CPET wieder erreicht wurde.

Das Hauptinteresse lag hierbei auf
a) der Zeit bis zu den stärksten PEM-Symptomen,
b) der Änderung der PEM-Symptomatik von der Baseline bis zum stärksten Ausmaß und
c) der Zeit, bis die PEM-Symptomatik wieder vollständig abgeklungen war.

Diese drei Kennwerte werden gewöhnlich in Studien ermittelt, die eine angemessene Dosierung von Medikamenten untersuchen. Der Grundgedanke ist, dass ähnlich wie bei der (Über-)Dosierung von Medikamenten auch die Anstrengung bei ME/CFS-Betroffenen so dosiert werden sollte, dass keine akute oder chronische Überlastung stattfindet. Die Autor*innen entwarfen also einen neuen Ansatz, um die Methodik von Medikamentenstudien auf die Erforschung von PEM anzuwenden.

Stichprobe und Ablauf

Die Stichprobe umfasste 78 Personen mit ME/CFS (diagnostiziert anhand der Kanadischen Konsensus Kriterien/CCC) und 64 gesunde Kontrollen. Die Personen hatten keine weiteren Erkrankungen und waren nicht regelmäßig körperlich aktiv. Alle Teilnehmenden nahmen im Abstand von 24 Stunden an zwei CPETs teil.

PEM wurde mit dem Specific Symptom Severity Questionnaire (SSS) gemessen, welcher folgende Bereiche umfasst: Fatigue, Brain Fog, Halsschmerzen, schmerzende Lymphknoten, Muskel-, Gelenk- sowie Kopfschmerzen, Schlafstörungen und PEM. Die Teilnehmenden füllten diesen Fragebogen mehrmals aus: direkt vor den CPETs, 24 Stunden nach dem zweiten CPET, alle zwei Tage bis 10 Tage nach dem ersten CPET und ggf. so lange, bis die PEM vollständig abgeklungen war.

Ergebnisse und Diskussion

Das Hauptergebnis war, dass ME/CFS-Betroffene signifikant länger brauchten, um sich von den CPETs zu regenerieren als Gesunde. ME/CFS-Betroffene brauchten dafür im Schnitt 12.5 Tage (mind. 1 Tag, max. 64 Tage), während Gesunde im Schnitt nur 2 Tage brauchten (mind. 1 Tag, max. 10 Tage). Bei ME/CFS-Betroffenen war die Regenerationsdauer unabhängig davon, wie lange sie bereits an ME/CFS erkrankt waren.

Abbildung: PEM pro Tag für Gesunde (links) und ME/CFS-Betroffene (rechts)

In der beigefügten Abbildung (zum Vergrößern anklicken) ist zu erkennen, dass die PEM nach den CPETs an Tag 0 und 2 bei Gesunden (links) nur leicht ausgeprägt war und schnell wieder abgeflacht ist. Bei den ME/CFS-Betroffenen (rechts) hingegen war die PEM von Beginn an deutlich höher, erreichte an Tag 2 den Höhepunkt und dauerte deutlich länger an.

Die Regenerationsdauer ist bei ME/CFS-Betroffenen also sehr stark erhöht und es besteht das Risiko der Überlastung und anhaltender PEM, wenn innerhalb dieser Regenerationszeit weitere Anstrengung stattfindet. Die Autor*innen vergleichen dieses Ergebnis mit Befunden zu Übertraining aus dem Sportbereich – hierbei sinkt die Leistungsfähigkeit, wenn zu häufig mit zu wenigen Regenerationspausen trainiert wird. Die Autor*innen diskutieren, dass ME/CFS-Betroffene häufig auch in ihrer häuslichen Umgebung in einem andauernden Überlastungszustand sind (sich also ständig in der verlängerten Regenerationsphase nach Anstrengung befinden), was sich bereits auf die Baseline-CPETs ausgewirkt haben könnte. Zudem diskutieren die Autor*innen das Risiko für eine anhaltende Zustandsverschlechterung bei ME/CFS-Betroffenen durch die Teilnahme an CPETs. Aufgrund der gewonnenen Daten ist davon auszugehen, dass 7–8 % der ME/CFS-Betroffenen 1–2 Monate brauchen, um sich von den beiden CPETs zu erholen. In der Stichprobe befand sich zudem eine Person, die auch nach einem Jahr angab, sich nicht vollständig erholt zu haben. Ob die anhaltende Zustandsverschlechterung dieser Person ausschließlich auf die Teilnahme an der Studie zurückzuführen ist, konnte nicht eindeutig festgestellt werden.

Eine Schwachstelle der Studie war, dass die physische Aktivität der Teilnehmenden zwischen und nach den CPETs nicht kontrolliert werden konnte, da die Aktivitäten in häuslicher Umgebung nicht dokumentiert wurden.

Fazit

Das Hauptfazit der Studie betrifft die Erkenntnisse zur (Über-)Dosierung von körperlicher Aktivität bei ME/CFS. Durch die deutlich verlängerte Regenerationszeit von durchschnittlich zwei Wochen nach Anstrengung ist zu erwarten, dass Empfehlungen, sich mehrmals die Woche körperlich anzustrengen (z. B. im Rahmen von Aktivierungstherapie/Graded Exercise Therapy, GET) schädlich für ME/CFS-Betroffene sind. Hier würden sich hohe Ausmaße von PEM durch die erneute Anstrengung aufaddieren, ohne dass genügend Zeit für die Regeneration vergangen ist.

Referenz

Moore, G.E.; Keller, B.A.; Stevens, J.; Mao, X.; Stevens, S.R.; Chia, J.K.; Levine, S.M.; Franconi, C.J.; Hanson, M.R. Recovery from exercise in persons with Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS). Medicina 2023, 59, 571. https://doi.org/10.3390/medicina59030571 

Redaktion: laf