EPILOC-Studie zeigt Auslösung von ME/CFS durch SARS-CoV-2 bei immunnaiven Infizierten
Die 2. Phase der Studie des baden-württembergischen Forschungsprojekts EPILOC (Epidemiologie von Long COVID) wurde im Mai 2024 als Preprint veröffentlicht. Die Ergebnisse bestätigen die Resultate vorhergehender Studien (z. B. Roessler et al., 2022), die gezeigt hatten, dass auch SARS-CoV-2 die Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) auslösen kann, ähnlich wie es für andere Viruserkrankungen wie beispielsweise SARS-CoV-1 oder EBV in der Vergangenheit bereits festgestellt worden war.
Rückblick auf EPILOC-Phase 1
Die EPILOC-Studie ist eine bevölkerungsbasierte, repräsentative Querschnittstudie, die das Auftreten von Langzeitsymptomen nach einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion untersucht hat. Beteiligt sind vier Universitätskliniken in Baden-Württemberg. Die Studie deckt eine Region von 2,7 Millionen Menschen ab. In der ersten EPILOC-Phase waren 11710 Teilnehmende 8,5 Monate nach ihrer SARS-CoV-2-Infektion nach neu aufgetretenen und anhaltenden Symptomen befragt worden. Alle Befragten hatten ihre Infektion zwischen Oktober 2020 und März 2021. 30,4 % der Befragten gaben an, dass sich ihr Gesundheitszustand nur zu weniger als 80 % erholt hatte. Als Symptome wurden typische ME/CFS- und Long-COVID-Symptome berichtet wie etwa Fatigue, neurokognitive Störungen und Schmerzsymptome. Substanzielle Fatigue, definiert als ein Score von über 21 auf der Fatigue Assessment Scale (FAS), berichteten 41,9 % der Befragten und extreme Fatigue, definiert als ein FAS-Score von über 34, berichteten 11,2 % der Befragten. Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass in der frühen Phase der COVID-19-Pandemie nur eine kleine Minderheit der Infizierten bereits eine spezifische Immunität gegen SARS-CoV-2 durch Impfung oder vorangegangene Infektion aufgebaut hatte. So gaben 98,1 % der Befragten an, noch nicht geimpft gewesen zu sein.
EPILOC-Phase 2: Methodik und Ergebnisse
In der zweiten EPILOC-Phase wurde nun dieselbe Kohorte 8,5 Monate nach der ersten Befragung ein weiteres Mal befragt sowie einigen diagnostischen Tests unterzogen. Dabei nahmen 1558 Personen an den Untersuchungen teil, also nur ein kleiner Teil der Teilnehmenden aus Phase 1. 67 % der Post-COVID-Syndrom (PCS)-Fälle aus Phase 1 (definiert als < 80 % erholter Gesundheitszustand sowie mindestens ein moderates oder schweres neues Symptom aus einer vorgegebenen Liste) wurden weiterhin als Post-COVID-Fall klassifiziert. 30,1 % der PCS-Fälle aus Phase 1 hatten sich so weit verbessert, dass sie nach der Studiendefinition nicht mehr als PCS-Fall galten und nur 2,2 % hatten sich vollständig erholt. Unter den anhaltenden PCS-Fällen berichteten 35,6 % neben Fatigue auch länger als 14 Stunden anhaltende Post-Exertionelle Malaise (PEM), das Kardinalsymptom von ME/CFS. Zudem erfüllten 11,6 % der anhaltenden PCS-Fälle die Kanadischen Konsensuskriterien (CCC) für ME/CFS. Dabei ist erstaunlich, dass etwa zwei Drittel der PCS-Fälle mit länger als 14 Stunden anhaltender PEM die Kanadischen Konsensuskriterien nicht erfüllten. Nach Angaben von Prof. Dr. Winfried Kern, Mitautor der Studie, war der Grund dafür, dass häufig keine Schmerzsymptome angegeben wurden oder autonomome/neuroendokrine/immunologische Manifestationen fehlten. Auf die gesamte Kohorte der Phase 2 hochgerechnet, hatten etwa 5 % der SARS-CoV-2-Infizierten 17 Monate nach der Infektion ME/CFS. Bei der Interpretation ist allerdings zu beachten, dass die Mehrheit der Befragten aus Phase 1 in Phase 2 nicht mehr an der Studie teilnahm, sodass der Anteil an ME/CFS-Erkrankten über- oder unterschätzt werden könnte.
Fazit
Insgesamt zeigt die Studie, dass in der frühen Phase der COVID-19-Pandemie ein relevanter Anteil der Infizierten ME/CFS entwickelt hat. Eine genaue Bezifferung der relativen Häufigkeit ist mit den berichteten Studienergebnissen schwer möglich, da die Rücklaufquote in der Phase 2 nur 13,3 % betrug, d. h. dass in Phase 2 nur ein kleiner Teil der Teilnehmenden aus Phase 1 wieder teilgenommen hat. Ebenso bleibt die Methodik für die Erfassung der CCC unklar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein großer Teil der Infizierten noch keine Immunität gegen SARS-CoV-2 hatte, sodass die Ergebnisse auf den weiteren Pandemieverlauf nicht direkt übertragbar sind. Studien hatten wiederholt eine Risikoreduktion von Long COVID nach Impfung und vorangegangener Infektion gezeigt, daher ist von einem Sinken der relativen Häufigkeit von ME/CFS nach COVID-19-Erkrankungen im weiteren Pandemieverlauf auszugehen (siehe z. B. Xie et al., 2024 oder Mikolajczyk et al., 2024). Dies ist allerdings nicht gleichzusetzen mit Veränderungen der absoluten Häufigkeit. Die COVID-19-Inzidenzen waren beispielsweise in späteren Pandemiephasen um ein Vielfaches höher als noch in den ersten zwei Pandemiewellen. Die in der EPILOC-Studie beobachtete vermehrte Auslösung von ME/CFS durch COVID-19 spiegelt sich auch in den Versorgungsdaten wider: So berichtet die Kassenärztliche Bundesvereinigung von einem Anstieg von 350.000 bis 400.000 jährlichen Behandlungsfällen mit ME/CFS in den Jahren 2018 und 2019 auf 500.000 Behandlungsfälle mit ME/CFS bereits im Jahr 2021.
Zum Preprint der Studie: https://doi.org/10.1101/2024.05.22.24307659
Redaktion: mth, dha