Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen

Highlights aus der ME/CFS-Forschung: Juni 2022

Highlights aus der ME/CFS-Forschung

Juni 2022 

Eine neue Rubrik auf unserer Homepage fasst Highlights aus der ME/CFS-Forschung zusammen. Der aktuelle Beitrag beschäftigt sich mit einer Studie aus Großbritannien, die den Zusammenhang von ME/CFS und der Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen untersucht hat. Dies ist ein wichtiger Schritt, um  die Auswirkungen von ME/CFS auch auf nicht selbst von der Erkrankung betroffene Familienmitglieder in den Fokus zu nehmen.

Studie zur Lebensqualität von ME/CFS-Betroffenen und ihren Angehörigen

In einer aktuellen Studie hat ein Team von Forschenden aus Großbritannien den Einfluss von ME/CFS auf die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen untersucht. Bisher gab es bereits erste Evidenz dafür, dass die Lebensqualität von Menschen mit ME/CFS stark eingeschränkt ist, auch im Vergleich zu anderen chronischen Erkrankungen. Neu an dieser Studie ist nun, dass auch die Angehörigen (Partner*innen, Familienmitglieder) in den Blick genommen werden. Die Studie ist im April in der Fachzeitschrift BMJ Open (British Medical Journal) erschienen.

Methodisches Vorgehen

Das methodische Vorgehen des Forschungsteams ist durch einige Stärken geprägt. Zum einen umfasst die Stichprobe Teilnehmende aus 30 Ländern, beschreibt also die Situation von ME/CFS-Betroffenen und ihren Angehörigen nahezu weltweit (Teilnehmende aus englischsprachigen Ländern waren jedoch stark überrepräsentiert, da der Fragebogen in englischer Sprache vorlag). Zum anderen wurde die Studie in Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen mit Patient*innen und ihren Familienmitgliedern entworfen. Die Forschungsfragen und das Vorgehen wurden im Team entwickelt. Zwei der Autor*innen sind selbst von ME/CFS betroffen. Die Studie zeigt also eine vorbildliche Kooperation von Betroffenen und Forschenden.

Eine weitere Stärke der Studie ist die Verwendung eines sehr gut geprüften und weit verbreiteten Fragebogens zur Messung der Lebensqualität der ME/CFS-Betroffenen. Der EQ-5D-3L wurde bereits 1990 entwickelt und liegt in einer Vielzahl von Sprachen vor. Der Fragebogen misst den Gesundheitszustand anhand der fünf Dimensionen Mobilität, Fähigkeit für sich selbst zu sorgen, alltägliche Tätigkeiten, Schmerzen und Angst auf einer dreistufigen Skala (keine Probleme, moderate Probleme, extreme Probleme). Die Angehörigen füllten einen anderen Fragebogen aus, der abbildet, wie stark die eigene Lebensqualität durch die chronische Erkrankung eines Angehörigen beeinflusst wird. Der Fragebogen ist unterteilt in die Bereiche Emotionen und Privat- und Sozialleben.

Teilnehmende

Die Stichprobe bestand aus 1418 Personen mit ME/CFS und jeweils einer angehörigen Person über 18 Jahren. Voraussetzung zur Teilnahme war, dass eine ärztliche Diagnose von ME/CFS vorlag. Im Schnitt waren die Teilnehmenden seit 14 Jahren von ME/CFS betroffen, 89 % lebten mit Angehörigen zusammen.

Einschränkungen durch ME/CFS

Die ME/CFS-Betroffenen berichteten von sehr starken Einschränkungen in allen Bereichen des EQ-5D-3L: moderate oder extreme Probleme bei Aktivitäten (99 %), mit Schmerzen (94 %), Mobilität (89 %), dabei sich alleine zu waschen oder anzuziehen (67 %) und Angst/Depressivität (59 %). Diese Werte sind alle deutlich höher als die durchschnittlichen Werte der Bevölkerung von Großbritannien.

Einfluss der Erkrankung auf Angehörige

Auch bei den Angehörigen zeigte sich ein deutlicher Einfluss der ME/CFS-Erkrankung ihres Familienmitglieds. Im Bereich Emotionen wurden häufig berichtet: Sorgen (96 %), Frustration und Traurigkeit (93 %), Schwierigkeiten mit anderen über die Situation zu sprechen (73 %) und Ärger (70 %). Im Bereich Privat- und Sozialleben betrafen die größten Einschränkungen die Familienaktivitäten (92 %), Urlaub (85 %), Finanzen (77 %) sowie Sexualleben (73 %). Zeit für sich selbst zu finden wurde ebenfalls als problematisch berichtet (69 %). Zwei Drittel der Angehörigen berichteten zudem über Probleme beim Schlafen, bei der Arbeit oder Ausbildung, sowie bezüglich der Beziehungen zu anderen nicht von ME/CFS betroffenen Familienmitgliedern. Darüber hinaus zeigte sich ein Zusammenhang des Gesundheitszustandes der ME/CFS-Betroffenen und der Lebensqualität ihrer Angehörigen. Eine stärkere Einschränkung der ME/CFS-Betroffenen ging also mit einer niedrigeren Lebensqualität der befragten Familienmitglieder einher.

Fazit

Zusammenfassend ist die Studie sehr wichtig, weil sie erstmals in einer großen internationalen Stichprobe den Zustand der ME/CFS-Betroffenen mit der Lebensqualität ihrer Angehörigen in Beziehung setzt. Es ist höchst relevant auch die Auswirkungen von ME/CFS auf nicht selbst von der Erkrankung betroffene Familienmitglieder in den Fokus zu nehmen. Einschränkend ist zu sagen, dass die Daten nur querschnittlich und korrelativ sind, d. h. es konnte zwar ein Zusammenhang festgestellt werden, eine kausale Wirkrichtung oder eine Entwicklung über die Zeit kann jedoch ohne zukünftige Längsschnittstudien nicht daraus abgeleitet werden. Weitere Studien könnten beispielsweise die Auswirkungen von ME/CFS auf die Beziehungsqualität von Betroffenen und Angehörigen untersuchen und Interventionen zur Verbesserung der Beziehungen und der Lebensqualität entwickeln.

Hier geht es zur Originalstudie.

Referenz

Vyas, J., Muirhead, N., Singh, R., Ephgrave, R., & Finlay, A. Y. (2022). Impact of Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) on the quality of life of people with ME/CFS and their partners and family members: An online cross-sectional survey. BMJ Open, 12(5), e058128. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2021-058128

Redaktion: laf