Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen

Highlights aus der ME/CFS-Forschung: Juli 2022

Highlights aus der ME/CFS-Forschung

Juli 2022 

Eine neue Rubrik auf unserer Homepage fasst Highlights aus der ME/CFS-Forschung zusammen. Der aktuelle Beitrag beschäftigt sich mit einer Studie zur Reaktivität von Antikörpern gegen das Epstein-Barr-Virus bei ME/CFS.

Studie zur Reaktivität von Antikörpern gegen Epstein-Barr-Virus bei ME/CFS

In einer aktuellen Studie hat ein internationales Team von Forschenden mit deutscher Beteiligung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der TU München die Reaktivität von IgG-Antikörpern gegen das Epstein-Barr-Virus (EBV) bei ME/CFS untersucht. Immunglobulin (Ig)-G-Antikörper sind die Vermittler des immunologischen Gedächtnisses im menschlichen Körper. Die Studie ist im Juni 2022 in der internationalen Fachzeitschrift Frontiers in Medicine erschienen.

Hintergrund & Ziele

EBV-Infektionen wurden mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, rheumatoider Arthritis oder systemischem Lupus erythematodes in Verbindung gebracht. Auch bei ME/CFS berichtet eine Subgruppe von Betroffenen, dass die Symptomatik nach einer EBV-Infektion begann. Das Team vermutet daher, dass molekulare Mimikry zwischen menschlichen und EBV-Antigenen eine Rolle bei der Entstehung von ME/CFS spielen könnte. Molekulare Mimikry bedeutet in der Immunologie, dass sich Peptidsequenzen von Krankheitserregern und dem eigenen Gewebe ähneln, was zu einer Aktivierung von autoreaktiven B- und T-Zellen führt – ein zentraler Mechanismus bei Autoimmunerkrankungen. Autoreaktive B- und T-Zellen reagieren auf eigenes Körpergewebe und produzieren im Fall der aus der B-Zelle entstandenen B-Gedächtniszelle (auch Plasmazelle genannt) Antikörper (z. B. Immunglobuline der Klasse G) die an körpereigene Strukturen binden. Im Fall von ME/CFS finden sich Autoantikörper, die an körpereigene G-Protein-gekoppelte Rezeptoren binden, welche u. a. für die Gefäßweitenregulation relevant sind.

ME/CFS-Patient*innen zeigen beispielsweise ebenfalls unzureichende Antworten von B- und T-Zellen gegen EBV und veränderte Antikörperprofile im Vergleich zu gesunden Kontrollen. Die aktuelle Vermutung ist daher, dass das Immunsystem mancher ME/CFS-Patient*innen zwischen einem Zustand der Aktivierung (zur Kontrolle latenter Herpesvirus-Infektionen) und einem Zustand der Unterdrückung von Autoimmunantworten (durch Aktivierung regulatorischer T-Zellen) hin- und herspringen könnte. Das erste Ziel der Studie war daher, die Rolle von Antikörpern gegen EBV als einen Mechanismus der Entstehung von ME/CFS zu untersuchen. Ein weiteres Ziel der Studie war die Untersuchung von EBV-Antigenen als potentielle Biomarker bei der Diagnostik von ME/CFS.

Methodisches Vorgehen & Stichprobe

Das Forschungsteam baut auf einer früheren Studie aus dem Jahr 2017 auf (wir berichteten hier), die die Antikörper-Reaktionen auf mehr als 3000 Antigenen von 14 EBV-Proteinen untersucht hat. In der aktuellen Studie wurden nun ME/CFS-Patient*innen mit und ohne Infektion als Trigger der Erkrankung mit gesunden Kontrollen verglichen, um EBV-Antigene zu finden, die in Zukunft für die ME/CFS-Diagnostik genutzt werden könnten. Die Stichprobe umfasste 92 ME/CFS-Patient*innen aus der Immundefektambulanz der Charité und 50 gesunde Kontrollen. 60 % der ME/CFS-Patient*innen berichteten von einer akuten Infektion als Auslöser ihrer ME/CFS-Erkrankung. Alle drei Teilnehmendengruppen bestanden zur Hälfte aus Frauen und waren im Mittel gleich alt (ca. 43 Jahre). Untersuchungsgegenstand waren wie in der früheren Studie die IgG-Antikörper-Antworten von 3000 Peptiden aus den Blutproben der Teilnehmenden.

Ergebnisse

Ein Hauptergebnis der Studie ist die Identifizierung von zwei Antigenen, die potentiell eine erhöhte Antikörper-Antwort bei ME/CFS-Patient*innen mit infektiösem Trigger auslösen könnten. Anhand dieser beiden Antigene konnten gesunde Kontrollen sehr gut von ME/CFS-Patient*innen mit infektiösem Trigger getrennt werden. Dies galt jedoch nicht für ME/CFS-Patient*innen ohne Infektion zu Beginn der Erkrankung, was weiterhin für ME/CFS-Subgruppen spricht. Das zweite Hauptergebnis der Studie betrifft die Suche nach einem Biomarker. Hier ergab sich kein einheitliches Muster für alle ME/CFS-Patient*innen, sondern es muss eine Kombination aus Alter, Geschlecht und den beiden Antigenen berücksichtigt werden.

Fazit

Die Studie führt die bisherige Forschung zur Rolle von EBV bei ME/CFS konsequent weiter. Positiv ist, dass die Studie verschiedene Subgruppen von ME/CFS-Patient*innen sehr genau betrachtet. Bei der Subgruppe mit infektiösem Trigger könnte die Reaktivierung von EBV bei anderen Infektionen eine bisher zu wenig beachtete Rolle bei der Entstehung von ME/CFS spielen – ähnliche Befunde zur EBV-Reaktivierung wurden auch bei Post COVID gezeigt.

Bei der Identifizierung eines diagnostischen Biomarkers muss genau hingeschaut werden – die Ergebnisse sind nicht allgemeingültig, sondern unterscheiden sich für männliche/weibliche, ältere/jüngere Patient*innen in Abhängigkeit davon, ob sie ME/CFS nach einer Infektion entwickelt haben oder nicht. Die Suche nach einem Biomarker wird dadurch erschwert, dass die Infektionen, die ME/CFS auslösen können, sehr vielfältig sind und nur bei einem Bruchteil der Betroffenen durch Laboruntersuchungen nachgewiesen wurden. Aufgrund der Wechselwirkungen mit Alter und Geschlecht müssen zukünftige Biomarker-Studien größere Stichproben (mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis und großer Altersspanne) umfassen, damit Ergebnisse für Subgruppen der Teilnehmenden mit ausreichender Teststärke nachgewiesen werden können. Zuletzt ist eine interessante Beobachtung, dass die beiden identifizierten Antigene Arginin-Wiederholungssequenzen mit Ähnlichkeiten zu menschlichen Proteinen aufweisen, was ein weiteres Indiz für die Hypothese der molekularen Mimikry darstellt.

Zusammenfassend liefert die neue Studie wichtige Hinweise auf die Rolle von EBV bei der Entstehung von ME/CFS bei einer Subgruppe der Patient*innen. Aktuell werden weitere Stichproben der UK ME/CFS Biobank analysiert, um die Ergebnisse potentiell zu replizieren.

Hier geht es zur Originalstudie.

Referenz

Sepúlveda, N., Malato, J., Sotzny, F., Grabowska, A. D., Fonseca, A., Cordeiro, C., Graça, L., Biecek, P., Behrends, U., Mautner, J., Westermeier, F., Lacerda, E. M., & Scheibenbogen, C. (2022). Revisiting IgG antibody reactivity to Epstein-Barr Virus in Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome and its potential application to disease diagnosis. Frontiers in Medicine, 9, 921101. https://doi.org/10.3389/fmed.2022.921101

Redaktion: laf