„Invest In ME“-Konferenz – Zusammenfassung

Zusammenfassung der wissenschaftlichen Vorträge

Vom 01.-02. Juni fand in London die internationale „Invest In ME“-Konferenz zum 12. Mal statt. Die Konferenz bietet Wissenschaftlern und Ärzten aus aller Welt die Möglichkeit, sich über ihre ME/CFS-Forschung auszutauschen. „Invest In ME“ fördert zudem die biomedizinische Forschung und Aufklärung über ME/CFS. Zu den geladenen Rednern gehörten dieses Jahr u.a. Dr. Vicky Whittemore vom amerikanischen NIH, Prof. Olav Mella aus Norwegen und Prof. Ron Davis von der kalifornischen Open Medicine Foundation. Außerdem waren Patientenorganisationen aus über 20 Ländern geladen.

Das Team der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS nahm ebenfalls an der Konferenz teil. Dort hatte der Vorstand in einer Vortragsreihe Gelegenheit, sich über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren und lernte zudem Patienten, Angehörige, Wissenschaftler und Vertreter anderer Patientenorganisationen kennen.

Es folgt eine Zusammenfassung der gehörten Vorträge:

 

Prof. Ian Charles – „UK Centre of Excellence for ME/CFS“

Prof. Ian Charles, Leiter des Quadram Instituts in Norwich (GB), stellte in einem kurzen Vortrag das neue Quadram Institut vor, das Mitte 2018 in Norwich in England eröffnen soll. Das Institut legt seinen Schwerpunkt auf Ernährung und Darmgesundheit. Außerdem soll ein eigenes Forschungszentrum für ME/CFS entstehen, an dem Wissenschaftler aus ganz Europa ME/CFS biomedizinisch erforschen. Ein Fokus wird die Erforschung des Mikrobioms (Gesamtheit aller Darmbakterien) sein, das evtl. zur Entstehung von ME/CFS und Autoimmunität beiträgt. Am Quadram Institut werden bis zu 300 Wissenschaftler multidisziplinär arbeiten. Das Institut wird an ein Krankenhaus angeschlossen sein.

 

Dr. Vicky Whittemore – „NIH Research into ME/CFS“

Dr. Vicky Whittemore, Programmdirektor des National Institutes of Health (USA), stellte in einer ausführlichen Präsentation die Pläne des NIH zur Erforschung von ME/CFS vor. Das National Institutes of Health ist mit seinen 27 Instituten und einem Jahresbudget von 30 Mrd. $ die größte Einrichtung für die biomedizinische Forschungsförderung weltweit. Das NIH fördert Grundlagenforschung, aber auch klinische Studien. Die Leitung für ME/CFS übernimmt das Institut für neurologische Krankheiten und Schlaganfälle (NINDS), dem auch Vicky Whittemore angehört. Ab sofort bietet das NIH für alle beteiligten Forschungsteams monatlich Seminare zu ME/CFS an. Das NIH arbeitet zudem eng mit der CDC und den kanadischen Behörden zusammen. In den nächsten fünf Jahren sollen pro Jahr 6 Millionen $ für ME/CFS zur Verfügung gestellt werden. Das NIH wird sich auf die Erforschung der Ätiologie (Ursache), Pathogenese (Krankheitsprozess) und evtl. Subtypen konzentrieren. Klinische Studien sind vorerst nicht geplant. Aktuell führt das NIH eine Studie mit 40 ME/CFS-Patienten durch, bei denen ME/CFS mit einem Infekt begonnen hat. Innerhalb der Studie werden dutzende Tests durchgeführt, um so die biologischen und klinischen Grundlagen von ME/CFS besser zu verstehen.

 

Prof. Donald Staines – „Dysregulation of Transient Receptor Potential (TRP) ion channels and calcium in natural killer cells in CFS/ME patients“

Prof. Donald Staines von der Griffith Universität in Brisbane (Australien) stellte die neuste Studie seines Teams vor. Außerdem berichtete er, dass sich das Team aktuell auf sehr schwer erkrankte und teilweise bettlägerige Patienten konzentriert, die  von den Wissenschaftlern zu Hause besucht werden. Schon vorherige Studien wiesen immer wieder daraufhin, dass bei ME/CFS-Patienten die NK-Zellen-Funktion gestört sein könnte. Die natürlichen Killerzellen gehören zur ersten Immunabwehr des Körpers und töten vor allem von Viren befallene Zellen und Krebszellen ab. Das Forschungsteam aus Australien fand nun dysfunktionale TRP-Kanäle auf den NK-Zellen. TRP-Kanäle sind Ionenkanäle, die u.a. den Kalziumeinstrom in die Zellen regulieren. TRP-Kanäle vermitteln außerdem „Stressreaktionen“ in den Zellen, wie Infektionen, Dehnung oder Hitze. Die Kanäle kommen überall im Körper vor. Der TRPM3-Kanal scheint bei ME/CFS-Patienten auf den NK-Zellen deutlich reduziert zu sein. Somit könnte auch der Kalziumeinstrom blockiert sein und so die Funktionsweise der Zellen stören. Das Team fand ebenfalls auffällige genetische Veränderungen am TRPM3-Kanal bei ME/CFS-Patienten. Dies könnte zukünftig auch ein Ansatzpunkt für die Entwicklung von Therapien sein.

 

Prof. Nancy Klimas – „Genetic Signature Study“

Prof. Nancy Klimas von der Nova Southeastern Universität in Florida, sprach in ihrem Vortrag über ihre neue Studie, in der sie das genetische Risiko bzw. die genetische Prädisposition von ME/CFS erforschen will. Genetische Studien sind auf Grund der eingesetzten Technik äußerst teuer. Zusätzlich braucht man eine hohe Anzahl von Teilnehmern um die geringen genetischen Abweichungen erkennen zu können. Klimas erklärte, erst ab 10.000 - 30.000 Teilnehmern könne man vermutlich ein abgrenzbares Risiko erkennen. Die kleinste Studie, die bisher ein eindeutig genetisches Risiko bei einer Krankheit ausmachen konnte, hatte 800 Patienten. Klimas ist besonders interessiert an der Frage, warum manche Menschen nach einem schweren Infekt wieder gesundwerden, andere aber ME/CFS entwickeln. Um die hohe Anzahl an Patienten zu erreichen und die Kosten zu reduzieren, verfolgt ihr Team einen neuen kreativen Ansatz: Crowdsourcing. Patienten aus der ganzen Welt sollen ihre genetischen Daten, die sie z.B. über private Labore wie 23andMe oder Ancestry.com erworben haben, dem Institut spenden. Das Projekt wird zusätzlich über Socialmedia-Kanäle beworben.

Weitere Informationen:

http://www.nova.edu/nim/research/mecfs-genes.html

 

Dr. Jacob Theorell – „Studies of NK cells and cytotoxic T-cells in ME-patients from one Swedish and one Norwegian cohort“

Dr. Jacob Theroell vom Karolinska Institut in Stockholm stellte seine Arbeit über Immunzellen und ME/CFS vor. Er verfolgt die Hypothese, dass ME/CFS-Patienten eine eingeschränkte Funktion der zytotoxischen Lymphozyten haben könnten. Hierzu gehören T- und NK-Zellen. Vorherige Studien anderer Teams wiesen auf eine eingeschränkte Funktion und Anzahl dieser Zellen hin. Hierzu untersuchte sein Team 25 Patienten aus Stockholm und 25 Patienten aus Oslo und verglich sie mit 50 gesunden Probanden. Um statistisch auf der richtigen Seite zu sein, testeten die Wissenschaftler möglichst viele Faktoren bei den schwedischen Patienten und überprüften die wenigen auffälligen Werte dann bei den norwegischen Patienten (sogenannter zweistufiger Retest). Das Team konnte keine signifikanten Abweichungen gegenüber den gesunden Probanden feststellen. Die Anzahl der Zellen war normal, ebenso war die Immunfunktion der NK-Zellen nicht gestört. Die einzige Abweichung war die verminderte Reaktion der Zellen auf Adrenalin. Evtl. sind die Adrenalin-Rezeptoren auf den Zellen vermindert. Dr. Theroell zweifelte deshalb NK-Zellen als validen Biomarker für ME/CFS an.

 

Prof. Jo Cambridge und Dr. Fane Mensah – „Immunoregulation in patients with ME“

Prof. Jo Cambridge und Dr. Fane Mensah vom University College London stellten die bisherigen Ergebnisse ihrer ME/CFS-Forschung vor. Cambridge beschäftigt sich bisher mit der Themen Rituximab, Rheumatoide Arthritis und Lupus. Das Team erklärte kurz die Wirkung des Medikaments Rituxmab. Rituximab ist ein monoklonaler Antikörper, der über den CD20-Rezeptor B-Zellen abtötet. Da B-Zellen Antikörper produzieren, kann das Medikament bei Antikörper-vermittelten Autoimmunkrankheiten wie RA oder Lupus eingesetzt werden. Rituximab zeigte ebenfalls erste gute Ergebnisse in zwei Studien in Norwegen bei ME/CFS. Problematisch ist, dass die B-Gedächniszellen ohne CD20-Rezeptor nicht abgetötet werden und so die Krankheit nach einer Behandlung mit Rituximab wiederkommen kann. Das Team aus London verfolgt die Hypothese, dass bei ME/CFS eine Immunreaktion den Energiestoffwechsel stören könnte. Im Labor fanden sie eine höhere Frequenz von Marginalzonen-B-Zellen (MZ B) in ME/CFS-Patienten. MZ B-Zellen werden u.a. mit EBV und Autoimmunität assoziiert und sitzen hauptsächlich in der Milz. Die MZ-B-Zellen erkennen Kohlenhydrate auf Viruszellen. Die IgG-Produktion scheint bei ME/CFS vermindert zu sein. Außerdem konnte das Team aus London eine erniedrigte Masse der Mitochondrien in den B-Zellen von ME/CFS-Patienten detektieren. Autoantikörper könnten eine wichtige Rolle in ME/CFS spielen, allerdings sei unklar, wogegen sie gerichtet sind. Stören sie den Energiemetabolismus oder adrenerge Rezeptoren? Dies müsse zukünftige Forschung zeigen.

 

Prof. Simon Carding und vier Doktoranden – „Panel Discussion“

Prof. Simon Carding und vier Doktoranden des Quadram Instituts aus Norwich (GB) stellten ihre aktuelle Forschung vor. Die Doktoranden konzentrieren sich auf das Mikrobiom bei ME/CFS. Die zugrundeliegende Theorie ist, dass Infektionen zu Darmentzündungen und einem Reizdarm führen, welches wiederum Autoimmunität begünstigen könnte. Die vier jungen Wissenschaftler erforschen Bakterien und Viren im Darm von ME/CFS-Patienten. Viren können die Bakterienpopulation verändern und erniedrigen. Viren sind allerdings schwer zu detektieren, da ihre genetische Struktur instabil ist und noch keine umfassenden Datenbanken existieren. Die Doktoranden sammeln vor allem Stuhlproben von bettlägerigen Patienten, da dort ME/CFS am stärksten ausgeprägt ist.

 

Prof. Mady Hornig – „Gut-metabolome-immune disturbances in ME/CFS subsets“

Prof. Mady Hornig von der Columbia Universität in New York (USA) stellte ihre aktuelle Studie zum veränderten Mikrobiom bei ME/CFS vor. Sie machte darauf aufmerksam, dass es eine Darm-Gehirn-Achse gebe. Moleküle, die im Darm von Bakterien produziert werden, können Einfluss auf das Immunsystem, die Darmtätigkeit, auf das Gehirn und auf die Stimmung haben. Bakterien, die vom Darm durch Entzündungen in die Blutbahn übertreten, könnten Autoimmunreaktionen auslösen. Im Labor fand das Team eine veränderte und teilweise reduzierte Darmflora bei ME/CFS-Patienten. Auch fand das Team erhöhte Pestizide im Darm. Reizdarmsyndrom (IBS) tritt zudem in 90% der untersuchten ME/CFS-Patienten auf. Außerdem sei der Umsatz des Vitamins B6 in den Darmbakterien erhöht. Hornig erklärte, dass das Netzwerk zwischen Mikrobiom, Stoffwechsel, Immunsystem und zentralem Nervensystem sei sehr komplex und es werde noch weitere Forschung benötigt, um ein klares Bild zu erhalten.

 

Prof. Olav Mella – „Update on the clinical trials RituxME and CycloME“

Prof. Mella von der Universität Bergen sprach über die beiden klinischen Studien RituxME und CycloME, die sein Team aktuell am Haukeland Universitätskrankenhaus durchführt. RituxME ist eine multizentrische Studie an fünf Krankenhäusern mit insgesamt 152 Patienten. Es handelt sich um eine randomisierte, kontrollierte und doppelgeplindete Phase III-Studie. RituxME gingen zwei Phase II-Studien voraus, in denen das Medikament Rituximab bei ca. 2/3 der Patienten die Symptomatik verbesserte. Bei einigen Patienten soweit, dass sie wieder Vollzeit arbeiten konnten. Diese Ergebnisse werden nun in der Phase III-Studie überprüft. Bis Oktober 2017 liegen die Daten unter Verschluss, erst dann wird die Blindung aufgehoben. Ergebnisse werden erst mit der Veröffentlichung in einem Fachmagazin bekannt gegeben. Mella betonte, dass er Therapien außerhalb von Studien derzeit nicht empfiehlt. Aktuell führt die Gruppe eine weitere klinische Studie mit dem Chemotherapeutikum Cyclophosphamid durch. 40 ME/CFS-Patienten erhalten das Medikament. Die Studie ist offen. Einige Patienten haben laut Mella von Cyclophosphamid profitiert. Aktuell werden zusätzlich fünf sehr schwer Erkrankte innerhalb der Studie in größeren Abständen behandelt. Es werde weitere Studien mit Cyclophosphamid geben. Prof. Mellas aktuelle Hypothese ist, dass ME/CFS eine Immunkrankheit ist, die zur mitochondrialer Dysfunktion führt und den Energiestoffwechsel einschränkt. Auch vermutet er, dass es einen Serumfaktor im Blut geben müsse. Er schloss den Vortrag damit, dass ME/CFS "im Blut sei und nicht zwischen den Ohren". Dass es sich bei ME/CFS um eine organische Krankheit handelt, halte er inzwischen für bewiesen.

 

Dr. Ingrid Rekeland ­– „Metabolic Profiling in ME/CFS“

Dr. Rekeland vertrat auf der Konferenz Dr. Fluge, ebenfalls von der Universität Bergen aus Norwegen. Sie sprach darüber, dass der Energiestoffwechsel in den Zellen von ME/CFS-Patienten gestört zu sein scheint. Die Pyruvatdehydrogenase, ein Enzym, dass Zucker in Energie umwandelt, sei gehemmt und runterreguliert. Aktuell suche ihr Team nach dem Serumfaktor, der die ME/CFS-Symptome auslöst. Gesunde Muskelzellen, die im Labor dem Blut von ME/CFS-Patienten ausgesetzt wurden, entwickelten ebenfalls einen gestörten Energiestoffwechsel. Auch wissen sie inzwischen, dass ME/CFS-Kranke den anaeroben Stoffwechsel schon in Ruhe oder bei sehr kleinen Aktivitäten nutzen. Es scheint sich außerdem nicht um eine klassische Entzündung, sondern um Autoimmunität zu handeln. Dafür spricht auch, dass ME/CFS-Patienten eine 40% höhere Wahrscheinlichkeit für andere Autoimmunkrankheiten in der Familie haben.

 

Prof. Warren Tate – freier Vortrag

Prof. Warren Tate, Biochemiker von der Universität Otago in Neuseeland, stellte seine aktuelle Forschung an ME/CFS-Patienten vor. Er untersucht vor allem micoRNAs, welche eine wichtige Rolle in der hochspezifischen Genregulation spielen. Ein Großteil der untersuchten Gene waren hochreguliert. Außerdem fand sein Team Hinweise auf ein chronisch aktiviertes Immunsystem. Aktuell läuft zudem eine kleine Studie mit zehn Patienten zur Frage, welche biochemischen Veränderungen im Körper von ME/CFS-Patienten ablaufen, wenn sie körperlich aktiv werden.

 

Prof. Ron Davis – „New machanics and diagnostics paradigms for ME/CFS“

Prof. Ron Davis, Direktor des Stanford Genome Technology Center und Vorsitzender der Open Medicine Foundation aus den USA, stellte seine aktuellen Bemühungen vor, ME/CFS besser diagnostizieren zu können sowie einen preiswerten Biomarker zu finden. Ron Davis’ Sohn ist selbst an ME/CFS erkrankt und aktuell bettlägerig. Ron Davis verfolgt einen molekularen Ansatz, da sich die Erkrankung vermutlich auf molekularer Ebene abspielt. Aktuell führt sein Team eine Big Data-Studie an zwanzig schwer erkrankten Patienten durch. Verglichen werden die Werte an 10 gesunden Probanden, die aus denselben Familien kommen. So wird gewährleistet, dass auch kleine Veränderungen im Genom erkannt werden, da Gene und Umgebung unter Verwandten ähnlich sind. Es wurde auch nach bekannten und unbekannteren viralen Infektionen gesucht. Sein Team konnte aber keine erhöhten Virenwerte bei ME/CFS-Patienten finden. Die Werte glichen derer der gesunden Probanden, waren sogar bei Patienten teilweise niedriger. Davis’ verfolgt einen Open Data-Ansatz und will alle neuen Rohdaten auf der Webseite des OMF teilen. So können auch andere Wissenschaftler seine Daten untersuchen und alle Ergebnisse – auch negative - werden schnell veröffentlicht. Das könnte die Forschung an ME/CFS beschleunigen. Gefunden hat sein Team bisher einen gestörten Energiestoffwechsel im Zitratzyklus. Was ihn verursacht, ist aber bisher unklar. Mittels einer neu entwickelten Nanonadel, die 200 Messungen pro Sekunde leisten kann, untersucht Davis die Zellen von ME/CFS-Patienten. Setzt man diese Zellen gesundem Blutserum aus, verhalten sie sich normal. Gesunde Zellen im Blutserum von ME/CFS-Patienten entwickelten hingegen einen gestörten Energiestoffwechsel. Das lässt vermuten, dass es einen Serumfaktor im Blut der Patienten geben muss, der die Symptome aufrechterhält. Sein Team züchtet ebenfalls pluripotente Stammzellen, um der Störung in den Zellen auf die Spur zu kommen.

 

Zusammenfassung: dha und smu