Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen

ME/CFS – Konferenz Update der IIMEC13

ME/CFS – Science Update 06/18

Das Science-Update in diesem Monat widmen wir der Berichterstattung der internationalen ME/CFS-Konferenz „13th Invest in ME Research International ME Conference“ die am 1. Juni in London stattfand.

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Invest in ME Research – International ME Conference 2018

13 Jahre, in denen Forscher*innen, Ärzt*innen und Betroffene im Austausch stehen

Am 01.06.2018 fand die jährliche Invest in ME Research-Konferenz in London statt. Einen Tag lang trafen sich Forschende, Patientenorganisationen und Betroffene, um die neuesten Forschungsergebnisse zusammenzutragen und gemeinsame Aktivitäten zu besprechen. Sebastian Musch und Dr. Laura Froehlich waren für die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS vor Ort und berichten von den Vorträgen.

Bereits vor Beginn der Konferenz haben wir uns mit Linda Tannenbaum, der Präsidentin der Open Medicine Foundation (OMF) getroffen. Ziel des Treffens war es, mögliche Kooperationen auszuloten und zukünftige gemeinsame Projekte anzustoßen. Die OMF fördert die Forschung von ME/CFS, Klärt über die Erlangung auf und setzt sich wie die DG für eine bessere Versorgung der Erkrankten ein.

Dr. Elizabeth Unger | Center for Disease Control (CDC)

Der Vormittag der Konferenz begann mit einer Reihe von Vorträgen von Wissenschaftler*innen vom Center for Disease Control (CDC) und National Institutes of Health (NIH) der USA. Dr. Elizabeth Unger, Leiterin der Chronic Viral Disease Branch des CDC, stellte die Ergebnisse einer groß angelegten Studie zur Schätzung der Basisrate von ME/CFS in den Vereinigten Staaten durch Telefoninterviews mit mehr als 54.000 Befragten vor. 1,6% der Befragten gaben an, in der Vergangenheit mit ME/CFS diagnostiziert worden zu sein. Unter den Betroffenen waren mehr Frauen und der Großteil war zum Zeitpunkt der Befragung noch immer von der Krankheit betroffen. Die relativ hohe Basisrate kann dadurch erklärt werden, dass es ein Selbstberichtsverfahren war, welches nicht durch eine medizinische Untersuchung ergänzt wurde. Aktuelle Planungen umfassen ein Projekt zur Überwachung von Schüler*innen, um mehr Kinder und Jugendliche mit ME/CFS zu identifizieren, sowie die Entwicklung eines standardisierten körperlichen Untersuchungsverfahrens zur Diagnostik von ME/CFS.

Dr. Vicky Whittemore | National Institutes of Health (NIH)

Dr. Vicky Whittemore, Programmdirektorin in der Abteilung für Neurowissenschaften des NIH, stellte drei neue kollaborative Forschungszentren für ME/CFS vor. An der Cornell University widmen sich Wissenschaftler*innen der Erforschung der biologischen Mechanismen von ME/CFS und dem Vergleich des Zustandes von ME/CFS-Patient*innen vor und nach körperlicher Belastung. An der Columbia University wird zu mikorbiellen Erregern und Stoffwechselprozessen bei ME/CFS geforscht. In den Jackson Laboratories werden Stoffwechsel- und Immunprozesse untersucht. Zudem läuft gerade eine Kooperation mit dem Canadian Institute of Health an und es wird ein Datenzentrum aufgebaut, um die Vergleichbarkeit international gewonnener Daten zu ME/CFS zu erhöhen.

Dr. Avindra Nath | National Institutes of Health (NIH)

Dr. Avindra Nath, Direktor der Abteilung für Infektionen des Nervensystems am NIH, stellte eine aktuell laufende klinische Studie zu den neurologischen Aspekten von ME/CFS vor. Über einen Zeitraum von 4 Jahren werden 40 ME/CFS-Patient*innen und 40 gesunde Kontrollen in verschiedenen Phasen untersucht. Phase 1 umfasst körperliche Untersuchungen, Phase 2 einen Belastungstest. Zudem wird vom 4.-5. April 2019 eine Forschungskonferenz zu ME/CFS am Clinical Center des NIH stattfinden.

Katharine Seton und Fiona Newberry | Quadram Institute (Großbritannien)

Als nächstes stellen zwei Doktorandinnen vom Quadram Institute in Großbritannien ihre Forschungsprojekte zum Thema Darmflora und ME/CFS vor. Die zentrale Hypothese ist, dass eine Virusinfektion zusammen mit einer gestörten Darmschleimhaut (leaky gut-Syndrom) zu einer Autoimmunreaktion bei ME/CFS führt. Eine Studie mit ME/CFS-Patient*innen und im selben Haushalt lebenden gesunden Kontrollen soll Aufschluss über die Mechanismen geben. Blut- und Stuhlproben werden auf Viren und Darmbakterien untersucht. Es gibt erste Hinweise für eine höhere Immunreaktion auf Darmmikroben bei ME/CFS-Patient*innen im Vergleich zu gesunden Kontrollen.

Dr. Peter Johnsen | Universitätsklinikum Nord-Norwegen

Dr. Peter Johnsen, Internist am Universitätsklinikum Nord-Norwegen, erforscht ebenfalls die Rolle der Darmflora bei ME/CFS und stellte Ergebnisse zur Transplantation von Fäkalbakterien bei ME/CFS und dem Reizdarmsyndrom vor. Die Transplantation von Fäkalbakterien gesunder Personen soll eine gesunde Darmflora herstellen. Die Darmflora ist wichtig für die Weiterleitung von Informationen zwischen Darm und zentralem Nervensystem und somit für Stressresistenz und Immunfunktionen. In einer radomisierten, kontrollierten klinischen Studie wurden positive Effekte der Transplantation von Fäkalbakterien (weniger gastro-intestinale Beschwerden, weniger Fatigue, höher eingeschätzte Lebensqualität) festgestellt. Diese Verbesserungen zeigten sich jedoch nur nach drei Monaten, nach einem Jahr waren die Effekte wieder verschwunden.

Prof. Dr. Karl Johan Tronstad | Universität Bergen (Norwegen)

Prof. Dr. Karl Johan Tronstad, Biomediziner an der Universität Bergen (Norwegen), erforscht den gestörten Energiestoffwechsel in den Zellen bei ME/CFS. Bei gesunden Personen gibt es in den Zellen multiple Wege der Energiegewinnung. In Studien mit Muskelzellen von ME/CFS-Patient*innen und gesunden Kontrollen wird aktuell untersucht, wie sich Zellen anpassen, wenn einige der Wege zur Energiegewinnung blockiert werden. Der gestörte Energiestoffwechsel bei ME/CFS führt nicht nur zu einer geringeren Energieproduktion, sondern auch zu weniger effizienterer Zellreparatur während Ruhephasen. Dies könnte die post-exertionale Malaise erklären.

Prof. Dr. Don Staines | National Center for Neuroimmunology and Emerging Diseases (Australien)

Prof. Dr. Don Staines, Immunologie am National Center for Neuroimmunology and Emerging Diseases in Australien, erläuterte erste Hinweise auf einen gestörten Calcium-Stoffwechsel innerhalb der Zelle bei ME/CFS. TRP-Kanäle (transient receptor potential ion channels) bei natürlichen Killerzellen (Zellen des Immunsystems, die abnormale Zellen abtöten) nehmen bei ME/CFS-Patient*innen weniger Calcium auf. Aktuell wird nach Wirkstoffen gesucht, die den Calciumgehalt in den Zellen erhöhen können. Die Veränderungen der TRP-Kanäle könnten ein Biomarker zur Diagnostik von ME/CFS sein.

Die Zeit zwischen den Vortragsblöcken konnten wir nutzen, um uns mit verschiedenen Patientenvertretungen wie der Norwegischen ME Vereinigung oder Vertretern der European ME Alliance auszutauschen. Hier hatten wir die Möglichkeit, die Situation der Patienten in den europäischen Ländern zu besprechen und unterschiedliche Strategien für eine bessere Versorgung zu diskutieren.

Prof. Dr. Theoharis Theoharides | Tufts University (USA)

Der Nachmittag begann mit einem Vortrag von Prof. Dr. Theoharis Theoharides, einem Zell- und Molekularbiologen von der Tufts University (USA). Er stellte einen neuartigen Forschungsansatz vor, der die Rolle von Mastzellen bei ME/CFS beleuchtete. Mastzellen sind Zellen der körpereigenen Abwehr, die Botenstoffe wie Histamin und Heparin gespeichert haben. Bei Kontakt mit Allergenen setzen sie Histamin frei, was zu einer allergischen Reaktion führt. Es wird davon ausgegangen, dass einige ME/CFS-Patient*innen unter Mastozytose leiden könnten, einer Anhäufung von Mastzellen in der Haut und den inneren Organen. Neben allergischen Reaktionen der Haut könnten Mastzellen ebenfalls für Brain Fog und chronische Entzündungsreaktionen im Gehirn verantwortlich sein. Behandlungsmöglichkeiten mit antiallergenen und antioxidativen Substanzen (z.B. in Pflanzen enthaltene Flavonoide) werden aktuell in Studien mit Mäusen erprobt.

Prof. Dr. Mady Hornig | Columbia University (USA)

Prof. Dr. Mady Hornig, Epidemiologin am Center for Infection and Immunity der Columbia University (USA), stellte einen Forschungsansatz vor, bei dem anhand von Biomarkern Subgruppen von ME/CFS-Patient*innen identifiziert werden sollen, damit gezielte Therapien entwickelt werden können. Zytokine (Proteine, die Wachstum und Differenzierung von Zellen regulieren) im Blut und im Rückenmark werden aktuell als Biomarker untersucht, um ME/CFS-Patient*innen mit „klassischem“ Verlauf der Krankheit (Beginn mit Infektion mit Erkältungssymptomen) von Patient*innen mit „atypischen“ Verläufen abgrenzen zu können. Weitere Faktoren zur Bildung von Subgruppen sind Komorbiditäten (gleichzeitiges Auftreten) mit Allergien und dem Reizdarmsyndrom, sowie die Schwere der kognitiven Beeinträchtigungen.

Prof. Dr. Maureen Hanson | Cornell University (USA)

Prof. Dr. Maureen Hanson, Molekularbiologin an der Cornell University (USA), stellte aktuelle Forschungsprojekte am Center of Enervating Neuroimmune Disease vor. Neben den in der Forschung zu ME/CFS bereits üblichen Vergleichen von Patient*innen mit gesunden Kontrollen werden nun auch Patient*innen über die Zeit hinweg untersucht. Sie nehmen beispielsweise an Belastungstests teil und ihr Zustand (z.B. Puls, Sauerstoffsättigung etc.) wird vor und nach der Belastung gemessen, um die post-exertionale Malaise besser zu verstehen. Im Moment laufen mehrere Forschungsprojekte in Kooperation mit den National Institutes of Health. Ein Projekt widmet sich beispielsweise dem erhöhten Laktatlevel im Gehirn nach Anstrengung und wird innerhalb von 3 Jahren 90 ME/CFS-Patientinnen mithilfe von bildgebenden Verfahren (fMRT, PET) untersuchen. So sollen die Prozesse, die zu Konzentrationsstörungen, kognitiven Einschränkungen und chronischen Entzündungsreaktionen im Gehirn führen, näher bestimmt werden.  

Prof. Dr. Markku Partinen | Universitätsklinikum Helsinki (Finnland)

Prof. Dr. Markku Partinen, Schlafforscher am Universitätsklinikum Helsinki (Finnland), beschäftigt sich damit, dass ME/CFS mit gestörtem und unerholsamem Schlaf einhergeht. Durch den Vergleich mit anderen Krankheiten, bei denen der Schlaf ebenfalls gestört ist (z.B. Narkolepsie), wird die Rolle von Orexinen (Neuropeptid-Hormone, die den Schlaf-Wach-Rhythmus regeln) bei ME/CFS untersucht. Wenn der Energiestoffwechsel von Orexinen gestört ist, kann dies zu orthostatischen Symptomen führen. Zudem ist bei gestörtem Schlaf das autonome Nervensystem (Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus) dysreguliert. Bei ME/CFS-Patient*innen könnte eine zu niedrige Aktivierung des Parasympathikus während des Schlafs zu weniger Tiefschlaf führen. Dies wäre wiederum eine Erklärung für die anhaltende Fatigue.

Prof. James Baraniuk | Georgetown University (USA)

Prof. James Baraniuk, Internist am Chronic Pain and Fatigue Research Center der Georgetown University (USA), hat herausgefunden, dass ME/CFS in vergangenen Studien mit Depressionen in Verbindung gebracht wurde, weil Depressionen neben stimmungsbzogenen Symptomen auch körperliche Symptome (Fatigue, Konzentrations- und Schlafstörungen, veränderter Appetit) beinhalten. ME/CFS-Patient*innen leiden unter ähnlichen körperlichen Symptomen wie depressive Patient*innen, sind jedoch in ihrer Stimmung nicht in gleichem Ausmaß beeinträchtigt. Eine weitere Studie unterschied ME/CFS-Patient*innen, die keine orthostatischen Symptome hatten, von denjenigen, die nur nach Belastung oder vor und nach Belastung an POTS (Posturales Tachykardie-Syndrom; Herzrasen in aufrechter Position im Vergleich zu liegender Position) litten. Patient*innen mit POTS zeigten veränderte Hirnaktivität nach Belastung.

Prof. Dr. Ron Davis | Stanford University (USA)

Den Abschluss der Konferenz bildete ein Vortrag von Prof. Dr. Ron Davis, Genetiker und Biochemiker an der Stanford University (USA). Er stellte sein groß angelegtes Forschungsprojekt zur Suche nach Biomarkern für ME/CFS vor. Er erklärte die von seiner Arbeitsgruppe entwickelte Nano-Nadel-Technik, die effizient und kostengünstig eine simultane Analyse vieler Biomarker im Blut ermöglicht. Aktuell wird ein erhöhter Widerstand der Zellen im Blutplasma, eine verminderte Verformbarkeit von roten Blutzellen, sowie eine verminderte Dichte der weißen Blutzellen bei ME/CFS-Patient*innen untersucht. Zudem geht die Suche nach einem Erreger für ME/CFS weiter. Aktuell ist der Fokus auf Trypanosomen, den Erregern der Schlafkrankheit, die in einigen Formen im Blut nur äußerst schwierig nachzuweisen sind. In Zukunft wird sich die Arbeitsgruppe verstärkt der Suche nach Biomarkern durch die Kombination von Methoden aus der Genetik und Biochemie widmen.

 

Redaktion: laf, smu