Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen

ME/CFS – Science Update 01/2019

Unser Science-Update

Mit dem ME/CFS Science-Update informieren wir über aktuelle Studien und berichten über wichtige Forschung aus den letzten Wochen.

Wir veröffentlichen jeden Monat ein Science-Update und ein separates News-Update mit Nachrichten aus der Politik und internationalen Community.

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Aktuelle Studien

Verformbarkeit von roten Blutkörperchen als potentieller Biomarker für ME/CFS

Die Teams von Ron Davis in Stanford und von Ananda Ramasubramanian der San Jose State University veröffentlichten kürzlich gemeinsam eine von der Open Medicine Foundation finanzierte Studie zur Verformbarkeit von roten Blutkörperchen in ME/CFS Patienten in der Fachzeitschrift Clinical Hemorheology and Microcirculation.

In ihrer wissenschaftlichen Arbeit fanden sie heraus, dass rote Blutkörperchen (RBCs) bei ME/CFS-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollen weniger verformbar sind.

Zunächst etablierten sie ein Gerät, eine mikrofluidische Plattform, welches einen gesunden Blutfluss der RBCs durch den Körper simuliert. Diese mikrofluidische Plattform erschafft einen strömungsgetriebenen Transport der RBCs durch Mikrokanäle und kann somit die Verformbarkeit der RBCs messen.

Rote Blutkörperchen sind die häufigsten Zellen im Blut. Ihre Hauptaufgabe ist der Sauerstofftransport zum Gewebe und der Transport von Kohlendioxid aus dem Gewebe zurück. Diese Rolle hängt teilweise von ihrer Verformbarkeit und Elastizität ab, denn für diesen Gasaustausch fließen RBCs primär durch sehr kleine Blutgefäße, sogenannte Kapillaren. Um diese Kapillaren mit Durchmessern von 4–8 μm durchqueren zu können, müssen sich die Blutzellen teilweise stark verformen. Die Eigenschaft der Verformbarkeit der roten Blutkörperchen ist also notwendig um einen optimalen Sauerstoff- und Kohlendioxidtransport zu gewährleisten.

Veränderungen in der RBC-Verformbarkeit wurden bereits mit Entzündungen, Sepsis, peripheren Gefäßerkrankungen und anderen Krankheiten assoziiert. Außerdem könnte dies eine Erklärung für die Schmerzen des Bewegungsapparates und der Fatigue  in der Pathophysiologie von ME/CFS sein.

In dieser Studie wurde das Blut von acht ME/CFS-Patient*innen (Canadian Consensus Criteria) und acht gesunden Kontrollen mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren untersucht. Dabei wurde beobachtet, dass:

  • der Durchmesser der RBCs vor dem Eintritt in die Testkanäle bei ME/CFS-Patient*innen ∼ 10 % größer war als bei den Kontrollen,
  • ∼ 20 % der RBCs von ME/CFS-Patient*innen ungewöhnlich größer (> 12μm) waren als die der Kontrollen, was auf die unterschiedlichen Auswirkungen der Krankheit auf RBCs hindeutet,
  • der Dehnungsindex der RBCs von ME/CFS-Patient*innen im Vergleich zu denen von HC um ∼ 15 % minimiert waren,
  • sich die meisten Zellen (> 70 %) von ME/CFS-Patient*innen nach dem Betreten der Testkanäle nicht verformen, während die Mehrheit der Zellen der Probanden beim Betreten der Testkanäle mindestens 10–25 % verformt hat,
  • auch nach Normierung wegen des unterschiedlichen Zelldurchmessers zwischen Patient und Proband RBCs von ME/CFS-Patient*innen sich 7-fach weniger verformen als die der Kontrollen,
  • die Zellen von ME/CFS-Patient*innen ∼ 14 % mehr Zeit benötigen, um in die Testkanäle zu gelangen und beim Betreten der Kanäle ∼ 18 % langsamer passieren als die der Kontrollen.

Diese Ergebnisse der deutlich geringeren Verformbarkeit der RBCs von ME/CFS-Patient*innen könnte künftig einen neuen potentiellen Biomarker oder eine erste Diagnosemöglichkeit darstellen.

Limitierend an dieser Studie ist sicherlich die geringe Stichprobenzahl. Außerdem können sich Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel nachweislich auf die Verformbarkeit der RBCs auswirken. Zwar wurde dies bei dieser Studie berücksichtigt, kann aber im Allgemeinen herausfordernd in der Vergleichbarkeit mit anderen Studien werden.

Die Verformbarkeit der RBCs ist kein Alleinstellungsmerkmal für ME/CFS, da sie auch mit anderen Krankheiten assoziiert ist. Deswegen ist es wichtig weitere Untersuchungen in diesem Gebiet durchzuführen um diese spannenden Ergebnisse zu bestätigen.

Hier geht es zur Studie.

 

ME/CFS-Erkrankte werden in Notaufnahmen oft nicht fachgerecht behandelt

Timbol und Baraniuk von der Georgetown Universität in Washington DC, USA, untersuchten in ihrer neusten Arbeit die Behandlung und Pflege von ME/CFS-Erkrankten in amerikanischen Notaufnahmen. Es handelt sich um eine Pilotstudie, die Mitte Januar 2019 im OpenAcess-Journal Dove Medical Presserschienen ist.

Ziel der Umfrage war es, herauszufinden, mit welchen Akutsituationen ME/CFS-Patient*innen die Notaufnahme von Krankenhäusern aufsuchen, und ob sie von Notärzten und Pflegepersonal angemessene Behandlung und Unterstützung erhalten.

Es handelte sich um eine Online-Umfrage, an der Betroffene mit einer gesicherten ME/CFS-Diagnose (Fukuda 1994-Kriterien) teilnehmen konnten. 282 Erkrankte nahmen im Jahr 2015 teil und die Ärzt*innen verglichen ihre Angaben mit einer vorherigen Notaufnahme-Umfrage mit 1.495 gesunden Kontrollen. 86 % der Umfrage-Teilnehmenden waren Frauen.

Nach der Auswertung berichteten 56 % der ME/CFS-Erkrankten schon einmal eine Notaufnahme wegen schwerer Symptome aufgesucht zu haben. Der Hauptgrund war dabei die orthostatische Intoleranz. ME/CFS-Erkrankte, die die Notaufnahme aufsuchten, taten dies hauptsächlich auf Grund von Schwindel und Benommenheit (14 %), allgemeiner Schwäche (12 %), Synkopen (Ohnmachtsanfällen) (5 %) und Tachykardie (4 %). Schmerzen spielten für die Akutbehandlung eher eine untergeordnete Rolle (8 %), obwohl Muskel- und Kopfschmerzen ein häufiges Symptom sind.

Die Patient*innen berichteten, dass sich das Personal in den Notaufnahmen kaum mit ME/CFS auskannte (Faktor 1,9/10, also nur 2 von 10 kannten das Krankheitsbild) und die Symptome nur selten ernst nahm (Faktor 3,7/10). In 57 % der Fälle legten die Notärzt*innen fälschlicherweise eine psychosomatische Diagnose, Stress oder Angstzustände nahe. In 40 % der Fälle wurde den Notfallpatient*innen gesagt, dass sich „alles nur in ihrem Kopf abspielt“. So erzählten 28 % der Notfallpatient*innen dem Personal von vornerein nicht, dass sie an ME/CFS litten, aus Angst stigmatisiert, verurteilt oder nicht ernst genommen zu werden. Die 44 % der Betroffenen, die noch keine Notaufnahme aufgesucht hatten, berichteten, dass sie dies auch nicht tun würden, da man ihnen dort nicht helfen könne (17 %) oder sie befürchten, mit mangelndem Respekt und Mitgefühl behandelt zu werden (14 %).

Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass sich die Versorgung in den Notaufnahmen wesentlich verbessern muss und schlagen dafür einen 5-Punkte-Plan vor.

1) Das Personal in den Notaufnahmen muss über ME/CFS aufgeklärt werden.
2) Akut lebensgefährliche Leiden müssen sofort ausgeschlossen werden (z. B. ein Herzinfarkt).
3) Eine ausführliche Anamnese inklusive chronischer und psychiatrischer Vorerkrankungen sollte immer erhoben werden.
4) ME/CFS sollte anhand der Kardinalsymptome (wie PEM) identifiziert werden (dazu eignet sich z. B. der CFS-Severity-Score aus der Studie).
5) Die gezeigten Symptome sollten nach Standardprozedere (wie bei allen anderen Krankheiten) behandelt werden, z. B. könnte man laut den Autoren orthostatische Probleme mit einer Infusion lindern.

Hier geht es zur Studie.

 

Überblicksarbeit zur Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln bei der Behandlung von ME/CFS

Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen aus Norwegen, dem Iran, Italien und Belgien verfasste einen Übersichtsartikel zum Forschungsstand zu ME/CFS und Nahrungsergänzungsmitteln. Der Artikel erschien kürzlich im Fachmagazin Biomedicine & Pharmacotherapyund fasst die Ergebnisse relevanter wissenschaftlicher Studien zusammen.

ME/CFS, Schwermetalle und Selen

Es gibt Hinweise darauf, dass Schwermetalle Auswirkungen auf ME/CFS haben können. Bei ME/CFS-Patient*innen wurde häufiger eine Hypersensitivität auf Nickel und Quecksilber festgestellt als bei Gesunden. Neben Hypersensitivität auf Metalle spielt bei einer Subgruppe von ME/CFS-Patient*innen auch eine Virusinfektion eine Rolle bei der Entstehung der Erkrankung. Ist die Kapazität des Immunsystems zur Virusabwehr reduziert, kann dies die Entstehung von ME/CFS begünstigen. Eine wichtige Rolle hierbei spielt hier laut den Autoren Selen – ein Spurenelement, das am Zellschutz und Enzymreaktionen beteiligt ist. Eine Mangelversorgung oder reduzierte Verwertung von Selen führt zu einer vermehrten Bildung des Gewebshormons Prostaglandin E2, das zu einer chronischen Entzündungsreaktion betragen kann. Schwermetalle können wiederum die Verwertung von Selen beeinträchtigen, besonders bei Personen, die viele ungesättigte Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren zu sich nehmen.

ME/CFS, bakterielle und virale Infektionen und eine Beeinträchtigung der Darmflora

Eine Arbeitshypothese zu ME/CFS besagt, dass die Erkrankung durch verschiedene miteinander zusammenhängende Teufelskreise aufrechterhalten wird, welche wiederum zu Immunsuppression, chronischen Entzündungen und Infektionen, ein Ungleichgewicht beim Stoffwechsel (oxidativer Stress) sowie Abbau von Nährstoffen führen. Stimmt diese Arbeitshypothese, sollten Behandlungsansätze versuchen, so viele der Teufelskreise wie möglich zu durchbrechen. Hierbei spielen die Mikroorganismen in der Darmflora eine wichtige Rolle. ME/CFS wurde mit einer gestörten Darmflora und einer Durchlässigkeit der Darmmembran in Verbindung gebracht, die an den chronischen Entzündungssymptomen und Autoimmunreaktionen beteiligt sind.

Abfallprodukte beim Stoffwechsel: ME/CFS und oxidativer Stress

Freie Radikale (Zwischenprodukte des Stoffwechsels, die Körperzellen und ihr Erbgut schädigen) könnten an der Entstehung von ME/CFS beteiligt sein, indem sie die Funktion der Mitochondrien (Energiekraftwerke der Zellen) beeinträchtigen. Gibt es zu viele freie Radikale in den Zellen, entsteht oxidativer Stress – die Zelle muss zu viel Energie aufwenden, um die schädlichen Stoffwechselprodukte wieder abzubauen und ihre normale Energiefunktion ist dadurch reduziert.

Behandlung von ME/CFS durch Nahrungsergänzungsmittel

Um die Funktion der Mitochondrien bei der Energieproduktion zu normalisieren, haben einige evidenzbasierte Studien die Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln untersucht. Die Gabe von Antioxidantien, Multivitaminen und Mineralien könnte die Symptomatik von ME/CFS verbessern. Insbesondere wurden hierbei Vitamin B12, Folsäure, Supradyn, NADH und Koenzym Q10 und D-Ribose untersucht. Evidenzbasierte Studien haben in einigen Fällen positive Auswirkungen dieser Nahrungsergänzungsmittel gezeigt, jedoch ist die Befundlage insgesamt gemischt und einige Studien hatten methodische Mängel – es besteht also noch weiterer Forschungsbedarf. Die bisherige Befundlage ist unzureichend und Studien haben unterschiedliche Stoffe oder Stoffkombinationen untersucht. Bisher fehlen systematische Reviews und Metaanalysen (statistische Zusammenfassung der Effekte mehrerer Studien). In Zukunft sollte die Wirkung von Mineralstoffen und Vitaminen bei ME/CFS durch kontrollierte Studien mit größeren Stichproben und verschiedenen Subgruppen von Patient*innen untersucht werden.

Hier geht es zur Studie.

 

Zusammenhang von Aktivitätslevel, Schlafdauer und Schwere der Symptome bei Patient*innen mit ME/CFS oder Fibromyalgie

Ein Team von Wissenschaftler*innen aus Groningen (Niederlande) untersuchte Patient*innen mit ME/CFS, Patient*innen mit Fibromyalgie und gesunde Kontrollen hinsichtlich ihrer körperlichen Aktivität und ihres Schlafes. Die Studie erschien kürzlich im Fachmagazin Pain Research and Management und wertete Daten der LifeLines-Studie mit über 90.000 Teilnehmenden aus den Niederlanden aus.

1 % (943) der Personen gaben im Selbstbericht an, an ME/CFS erkrankt zu sein, während 3 % (2.714) angaben, an Fibromyalgie erkrankt zu sein. Ebenfalls im Selbstbericht gemessen wurden ihr körperliches Aktivitätslevel und ihre Schlafdauer. Ein Fragebogen zum Aktivitätslevel erfragte die Häufigkeit, Dauer und Intensität körperlicher Aktivitäten in den folgenden Alltagsbereichen: Wege zurücklegen zu Fuß/per Fahrrad, Freizeitaktivitäten (z. B. Spaziergänge, Gartenarbeit), Sport, Aktivität im Haushalt, bei der Arbeit oder in der Schule. Es wurde ein gewichteter Aktivitätswert gebildet, der die Art, Dauer und Intensität der Aktivität beinhaltete. Zudem gaben die Teilnehmenden an, wie viele Minuten sie im Schnitt pro Tag schliefen. Die Schwere von körperlichen Symptomen wurde mit der Symptomcheckliste SCL-90 SOM erfasst.

Die Ergebnisse zeigten, dass Patient*innen mit ME/CFS und Patient*innen mit Fibromyalgie ein niedrigeres körperliches Aktivitätslevel hatten als Gesunde – die beiden Patientengruppen unterschieden sich jedoch nicht statistisch voneinander. Zudem zeigten ME/CFS-Patient*innen eine längere Schlafdauer als Patient*innen mit Fibromyalgie und Gesunde. Bei gesunden Teilnehmenden waren ein höheres Aktivitätslevel und eine längere Schlafdauer mit weniger berichteten körperlichen Symptomen assoziiert. Bei Patient*innen mit ME/CFS und Fibromyalgie gab es jedoch einen U-förmigen Zusammenhang: Schwerere Symptome berichteten sowohl diejenigen mit niedrigem Aktivitätslevel oder einer kurzen Schlafdauer als auch diejenigen mit eher hohem Aktivitätslevel oder einer langen Schlafdauer.  Somit könnte es bei beiden Erkrankungen zwei Gruppen von Betroffenen mit eher schweren Symptomen geben.

Eine Stärke der Studie ist die sehr große Stichprobe. Schwächen sind die Selbstberichtsverfahren und die querschnittliche Methode, die keine Aussagen über Kausalzusammenhänge zwischen Aktivitätslevel, Schlaf und Symptomintensität erlaubt. Zukünftige Studien sollten die Zusammenhänge also mit nach standardisierten Diagnosekriterien ausgewählten Teilnehmenden, objektiven Maßen und im Zeitverlauf untersuchen.

Hier geht es zu Studie.

Hinweis: 

Alle Texte sind von uns sorgfältig und nach bestem Wissen erstellt. Sie sind jedoch allgemeiner Art und können nur generell über ME/CFS und die allgemeine Forschungslage aufklären. Bitte verwenden Sie die Informationen nicht als Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen und treffen Sie keine Selbstdiagnosen.

Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte einen Arzt. Nur eine individuelle Untersuchung kann zu einer Diagnose und ggf. Therapieentscheidung führen. Nehmen Sie Medikamente nur nach Absprache mit einem Arzt oder Apotheker ein.

Redaktion: laf, cfr, dha