Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen

ME/CFS – Science Update 12/2018

Unser Science-Update

Mit dem ME/CFS Science-Update informieren wir über aktuelle Studien und berichten über wichtige Forschung aus den letzten Wochen.

Wir veröffentlichen jeden Monat ein Science-Update und ein separates News-Update mit Nachrichten aus der Politik und internationalen Community.

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Aktuelle Studien

Hinweise auf Zusammenspiel von Immunsystem und Stoffwechsel bei ME/CFS 

Ein internationales Team von Wissenschaftler*innen, darunter Fane Mensah aus England und Chris Armstrong aus Australien, untersuchte den Zusammenhang zwischen CD24-Expression und B-Zell-Reifung. Die Studie ist kürzlich im Fachmagazin Frontiers in Immunology erschienen.  

Anomalien in der Nutzung bzw. Bereitstellung von Energie in der Zelle wurden bereits als ein wichtiges Merkmal für das Verständnis des Krankheitsprozesses in ME/CFS beschrieben. In dieser Studie wurde nun auch eine Verbindung von Immunsystem und dem Stoffwechsel hergestellt, denn die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass die CD24-Expression auf B-Zellen mit dem Energiestoffwechsel zusammenhängt. 

CD24 ist ein Oberflächenmerkmal verschiedener Zellen des Immunsystems, besonders auf B- und T-Zellen vertreten und ist wichtig für die Kommunikation der Zellen untereinander. CD24 spielt eine wichtige Rolle bei der B-Zell-Entwicklung und kann als Signalvermittler von metabolischen Funktionen der Zellen agieren. B- und T-Zellen sind Zellen der körpereigenen Immunabwehr. Kommt das Immunsystem in Kontakt mit Fremdkörpern (Antigene), setzen die B-Zellen Antikörper frei, die sich an das Antigen setzen und es unschädlich machen. 

In dieser Studie wurde versucht, einen möglichen Zusammenhang zwischen früheren Beobachtungen eines veränderten Stoffwechsels und einer Immundysfunktion bei Menschen mit ME/CFS aufzudecken. Dazu wurden neun ME/CFS-Patient*innen (Canadian Consensus Criteria) und acht gesunde Kontrollen mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren untersucht. Ein deutlicher Zusammenhang zwischen der CD24-Expression auf B-Zellen und der Umwandlung von Substanzen durch Stoffwechselwege der Zellen wurde gefunden. So war bei den untersuchten ME/CFS-Patient*innen erhöhte CD24-Expression zu finden, der Verbrauch von Glukose erhöht und die Laktatproduktion verringert im Vergleich zu den gesunden Proband*innen. Diese Anhäufung von CD24-Oberflächenmerkmalen auf B-Zellen kann also zu veränderten Stoffwechselfunktionen führen.  

Allerdings ist zum jetzigen Zeitpunkt wenig über CD24 bekannt, daher ist es wichtig, weitere Untersuchungen über seine Funktion, vor allem im Bereich des Immunsystems, durchzuführen. Auch muss man die Ergebnisse vorsichtig betrachten, denn die Stichprobengröße ist relativ klein, weshalb weitere Untersuchungen wichtig wären. 

Hier geht es zur Studie.

 

Schulfähigkeit von Jugendlichen mit ME/CFS eingeschränkt

Ein Team von Wissenschaftler*innen aus Australien hat die Schulfähigkeit von Jugendlichen mit ME/CFS untersucht. Der Artikel erschien kürzlich im Fachmagazin Frontiers in Pediatrics. An ME/CFS erkrankte Jugendliche weisen hohe Fehlzeiten auf, die sich im Laufe der Schulzeit im Schnitt auf ein Jahr belaufen.

Das australische Team verglich 39 Jugendliche (13–17 Jahre) mit ME/CFS und 28 gesunde Kontrollen nicht nur hinsichtlich Fehlzeiten, sondern auch hinsichtlich ihrer akademischen Leistungen und ihrer schulbezogenen Lebensqualität. Jugendliche, die aufgrund ihrer Erkrankung die Schule gar nicht mehr besuchen konnten oder zu Hause unterrichtet wurden, waren von der Teilnahme an der Studie ausgeschlossen. ME/CFS-Symptome wurden mit einem etablierten Fragebogen für Kinder und Jugendliche (Pediatric Quality of Life Inventory - Multidimensional Fatigue Scale) und einem Fragebogen über emotionale Symptome (Strength and Difficulties Questionnaire) gemessen. Die Schulfähigkeit wurde mit folgenden Indikatoren erfasst: Aktivitäten außerschulischer Unterstützung (z. B. Nachhilfe), Fehlzeiten, schulbezogene Lebensqualität (Bewältigung der Hausaufgaben, Konzentrations- und Merkfähigkeit), Zugehörigkeitsgefühl zur Schule, und akademische Leistung (Lese-, Rechen- und Rechtschreibfähigkeit).

Die Jugendlichen mit ME/CFS zeigten höhere Fehlzeiten (im Schnitt wurden 40 % des Unterrichts verpasst), mehr außerschulische Unterstützung, mehr Anpassungen im Stundenplan, eine niedrigere selbsteingeschätzte schulbezogene Lebensqualität, ein geringeres Zugehörigkeitsgefühl zur Schule und niedrigere akademische Leistungen als gesunde Jugendliche. Innerhalb der Gruppe der Jugendlichen mit ME/CFS sagte die Schwere der Fatigue-Symptome niedrigere Schulfähigkeit auf allen Maßen vorher, abgesehen von akademischer Leistung. Emotionale Symptome sagten geringere schulbezogene Lebensqualität und niedrigeres Zugehörigkeitsgefühl vorher, waren aber unabhängig von Fehlzeiten und akademischer Leistung.

Die Ergebnisse der Studie zeigen also, dass ME/CFS Jugendliche daran hindern kann, ihr akademisches Potential auszuschöpfen. Hohe Fehlzeiten können zudem die Entwicklung sozialer Fähigkeiten erschweren. Weitere Studien sollten die Schulfähigkeit von Kindern und Jugendlichen mit ME/CFS anhand größerer Stichproben und mit wiederholten Messungen im Zeitverlauf untersuchen. Zudem sollten über den Selbstbericht hinausgehende Maße für die Schwere der Symptomatik (z. B. Schrittzähler) mit der Schulfähigkeit in Verbindung gebracht werden.

Hier geht es zur Studie.

 

Der DePaul Symptom Questionnaire zur standardisierten Erfassung von ME/CFS-Symptomen

Wissenschaftler*innen der DePaul University (USA) arbeiten weiterhin daran, ME/CFS-Symptome standardisiert mittels Fragebögen zu erfassen (wir berichteten im Science-Update 11/2018). Problematisch ist bisher, dass keine einheitlichen Kriterien zur Diagnose von ME/CFS existieren und einige Kriterien als nicht valide genug gelten, um nur ME/CFS abzubilden. Das National Institute of Health (NIH) der USA empfiehlt, einen Fragebogen des Center for Disease Control (CDC) in Kombination mit dem DePaul Symptom Questionnaire (DSQ) zu verwenden.

Nun liegt der DSQ in vier verschiedenen Versionen vor, um einen gezielten und zielgruppenspezifischen Einsatz zu ermöglichen. Die Originalversion (DSQ-1) umfasst 99 Fragen zur Häufigkeit und Schwere von ME/CFS-Symptomen basierend auf den CCC-Kriterien (Fatigue, PEM, neurokognitive Fähigkeiten, Schlaf, Schmerzen, sowie neuroendokrine und immunbezogene Faktoren). Der DSQ-1 kann ME/CFS-Patient*innen gut von Gesunden und Patient*innen mit anderen Erkrankungen trennen und liegt bereits auf mehreren Sprachen (Englisch,Norwegisch, Spanisch, Japanisch, Persisc   h) vor. Eine Weiterentwicklung stellt der DSQ-2 dar, der Fragen zu den Symptomen basierend auf neueren Forschungsarbeiten einschließt (z. B. PEM, orthostatische Intoleranz, Sensitivität für Schimmel). Zudem wurden missverständliche Formulierungen im DSQ-1 verbessert. Die dritte Version des Fragebogens ist eine Kurzversion (SDQ-SF für „short form“) mit nur 14 Fragen. Sie kann ME/CFS-Patient*innen genauso gut identifizieren wie der DSQ-1 und ist somit zeiteffizient einzusetzen. Die vierte Version ist ein Fragebogen für Kinder (DSQ-PED für „pediatric“), die sowohl die Befragung von Kindern als auch ihren Eltern umfasst. Hierzu liegt zudem ein Screening-Fragebogen vor, um Kinder mit ME/CFS in groß angelegten epidemiologischen Studien zu identifizieren.

In einem langen Forschungsprozess, der bereits 1994 an der DePaul University begann, konnten somit qualitativ hochwertige Messinstrumente entwickelt werden, um ME/CFS-Symptome standardisiert per Selbstbericht/Interview zu erfassen. Der Fragebogen für Kinder wird aktuell noch weiterentwickelt.

Hier geht es zur Studie.

 

2Tages-CPET objektive Diagnostik für ME/CFS und Post-Exertional Malaise

Ein Team der Workwell-Foundation aus den USA hat ein Review über die CPET-Diagnostik bei ME/CFS-Kranken veröffentlicht. Die Arbeit erschien im September im Fachmagazin Frontiers in Paediatrics.

Beim sogenannten CPET handelt es sich um einen kardiopulmonalen Belastungstest, auf Deutsch auch Spiroergometrie genannt. Dabei wird unter steigender Belastung auf einem Fahrrad (manchmal auch Laufband) die Lungen-, Herz- und Muskelleistung gemessen. Es werden dazu Herz- und Atemfrequenz, Atemfluss und die Atemgase (Sauerstoff und Kohlendioxid) unter Leistung und steigender Aktivität beobachtet. Neben dem Zusammenspiel verschiedener Organe ist es so auch möglich, die sogenannte „anaerobe Schwelle“zu messen, also den Zeitpunkt, an dem der Körper Energie ohne Sauerstoff produziert und Milchsäure ansammelt. Bei normaler Aktivität produziert der Körper Energie unter Sauerstoffverbrennung (aerober Stoffwechsel). Kommt es aber zu einer Überlastung oder wird schnell Energie benötigt (z. B. bei einem Sprint), kann der Körper für kurze Zeit auch ohne Sauerstoff Energie bereitstellen (anaerober Stoffwechsel). Allerdings erschöpft sich der anaerobe Stoffwechsel schnell, ist ineffizient und es fällt Milchsäure als Abfallprodukt an. Deshalb bezeichnet man die anaerobe Schwelle auch als absolute Leistungsgrenze.

In vorherigen Forschungsarbeiten haben Stevens und VanNess durchgehend bestätigen können, dass der VO2Max (die maximale Menge an Sauerstoff, den der Körper zu einem gegebenen Zeitpunkt verwerten kann) und die anaerobe Schwelle von ME/CFS-Kranken deutlich erniedrigt sind. Beide Werte sind in der Medizin objektive Standards für die körperliche Leistungsfähigkeit und werden z. B. auch bei der Bewertung von Herzschwäche, Nierenversagen, Mukoviszidose und diversen Lungenkrankheiten eingesetzt.

Allerdings schwanken die Werte eines ersten CPETs oft. So zeigen ME/CFS-Patient*innen Leistungswerte von 30–91 % bei einer ersten Testung (Vergleich: Gesunde zeigen Werte von 86–90 %). Dies wird oft als mangelnde Fitness missinterpretiert. Wiederholt man nun aber den CPET am nächsten Tag (24 h später), brechen die Leistungswerte bei ME/CFS-Kranken deutlich und konsistent ein. Dies stimmt mit dem Symptom der Post-Exertional Malaise überein. Es ist also mit einem zweimaligen CPET valide nachweisbar, dass ME/CFS-Kranke sich deutlich schlechter von Belastung und Aktivität erholen als Gesunde. Der Energiestoffwechsel und das kardiovaskuläre System scheinen gestört und nach Belastung für längere Zeit deutlich eingeschränkt zu funktionieren.

Die Autoren kommen in ihrem Review zu dem Schluss, dass sich ein 2Day-CPET, bzw. eine am nächsten Tag wiederholte Spiroergometrie eignet, um ME/CFS-Kranke und den Grad ihrer Belastungseinschränkung objektiv zu diagnostizieren. Dabei sinkt am nächsten Tag nicht nur der VO2Max und die anaerobe Schwelle ab, sondern es verändern sich auch andere Werte deutlich (z. B. die Herzfrequenz, der Blutdruck und der Laktatspiegel).

Zu bedenken ist allerding, dass ein zweitägiger Belastungstest für viele Betroffene sehr anstrengend ist und die Symptomatik auch dauerhaft verschlimmern kann. Ob er sich deshalb für eine Standarddiagnostik eignet, bleibt offen.

Hier geht es zur Studie.

 

Hinweis: 

Alle Texte sind von uns sorgfältig und nach bestem Wissen erstellt. Sie sind jedoch allgemeiner Art und können nur generell über ME/CFS und die allgemeine Forschungslage aufklären. Bitte verwenden Sie die Informationen nicht als Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen und treffen Sie keine Selbstdiagnosen.

Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte einen Arzt. Nur eine individuelle Untersuchung kann zu einer Diagnose und ggf. Therapieentscheidung führen. Nehmen Sie Medikamente nur nach Absprache mit einem Arzt oder Apotheker ein.

Redaktion: laf, cfr, dha