Eine Collage aus einem Stethoskop, Labormaterial, DNA und einem Fragebogen

ME/CFS – Science Update 04/2018

Neu: Unser Science- und News-Update

Die Inhalte unserer ME/CFS-Updates sind in den vergangenen Ausgaben stetig gewachsen. Wir freuen uns über die vielen berichtenswerten Ereignisse aus der Forschungswelt und über die mediale Berichterstattung über ME/CFS.

Um weiterhin kurz und knapp über Wissenswertes berichten zu können, haben wir unser Update in zwei Teile aufgeteilt: Das Science-Update mit aktuellen Studien und Berichten aus der Forschung wird in Zukunft am Anfang des Monats erscheinen. Das News-Update mit den Nachrichten aus der internationalen und deutschen Community wird gegen Mitte des Monats erscheinen.

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Aktuelle Studien

Verminderte Zuckeraufnahme und ATP-Produktion in Muskeln von ME/CFS-Patienten

In der Zeitschrift Bioscience Report erschien Mitte April eine Arbeit von Brown et al. von der Universität Newcastle in England. Unter den Autor*innen ist auch Julia Newton, die schon seit gut einem Jahrzehnt über ME/CFS forscht. Ihr Schwerpunkt ist die eingeschränkte Muskelfunktion und die vielen orthostatischen Symptome wie Herzrasen und Atemnot, die bei ME/CFS oft auftreten.

In dieser Arbeit untersuchten die Wissenschaftler*innen den Effekt der Stoffe Metformin und 991 auf Muskelzellen in der Petrischale, die zehn ME/CFS-Patient*innen und sieben gesunden Kontrollen entnommen wurden. Zur Diagnose wurden die Fukada-Kriterien verwendet.

Das Team konnte in einer vorherigen Studie zeigen, dass die Aktivität des Enzyms AMPK in den Muskeln von ME/CFS-Kranken verringert ist. Das Enzym AMPK wird nach Aktivität von den Muskelzellen aktiviert, um die ATP-Produktion anzukurbeln und vermehrt Zucker aus dem Blut aufzunehmen. AMPK fungiert so als wichtige Schalter, um nach vermehrter Anstrengung die chemischen Energiespeicher der Muskulatur wieder aufzufüllen.

Metformin sowie der Stoff 991, führten nun in den Zellkulturen zur Aktivierung der AMPK und vermehrten Zuckeraufnahme. Die ATP-Konzentration änderte sich jedoch bei den erkrankten Muskelzellen nicht und war weiterhin niedrig. Die Autor*innen spekulieren hier, dass die Glykolyse (Abbau von Zucker in Energie) selbst beeinträchtigt sein könnte, wie es auch schon z.B. Fluge et al. 2017 (wir berichteten) beschrieben haben. Ob die Muskelfunktion durch diverse pharmakologische Stoffe bei ME/CFS verbessert werden kann, bleibt weiterhin offen.

Hier finden Sie die Studie in der Zeitschrift „Bioscience Report“

 

 


Hinweise darauf, dass ME/CFS eine Autoimmunerkrankung ist, verdichten sich

Eine Studie von Wissenschafterl*innen der Charité (u. a. Prof. Scheibenbogen), aus Italien, Spanien und Lettland im Auftrag des European Network on ME/CFS (EUROMENE) fasst die wissenschaftliche Evidenz dafür zusammen, dass ME/CFS eine Autoimmunkrankheit ist. Die Studie wurde im März 2018 in der Fachzeitschrift Autoimmunity Reviews veröffentlicht.

ME/CFS beginnt häufig mit einer Virusinfektion (z.B. Epstein-Barr-Virus; EBV) und einem damit einhergehenden Pfeifferschen Drüsenfieber. Diese Infektion ist ein bekannter Risikofaktor für Autoimmunerkrankungen, denn das EBV weist Ähnlichkeiten mit vielen menschlichen Autoantigenen auf. Werden also Antikörper gegen die Virusinfektion gebildet, können diese aufgrund der Ähnlichkeit auch körpereigene Strukturen angreifen (Anm. d. Red.: eine im April veröffentlichte Studie vermutet, dass das EBV-Protein EBNA2 Transkriptionsfaktoren im genetischen Code aktiviert und so Autoimmunität auslöst).

Zudem wurden Veränderungen der Immunzellen (verschiedene Arten von B-Zellen und T-Zellen) festgestellt, hier ist die Befundlage jedoch bisher nicht eindeutig. In vielen Studien wurden bei ME/CFS-Patient*innen außerdem Autoantikörper gefunden, die körpereigene Zellkerne, Membranen und Rezeptoren für Neurotransmitter angreifen. Dies kann zu Störungen des Zell- und Energiestoffwechsels, Muskelschwäche, Entzündungsreaktionen, und orthostatischen Syndromen führen.

Das Risiko eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln ist zum Teil genetisch determiniert, und erste Ergebnisse zeigen dies auch für ME/CFS. Autoimmunerkrankungen sind darüber hinaus mit einer Störung des Energiestoffwechsels und einer chronischen Entzündungsreaktion verbunden – auch hierfür gibt es bei ME/CFS-Patient*innen Anzeichen. Als letzten Hinweis führen die Autor*innen Komorbiditäten mit anderen Autoimmunerkrankungen an. So leiden Patient*innen mit ME/CFS mit erhöhter Wahrscheinlichkeit an Fibromyalgie, der Schilddrüsenerkrankung Hashimoto-Thyreoditis, orthostatischer Dysregulation (niedrigem Blutdruck, Herzrasen und Kreislaufbeschwerden im Stehen) sowie einer familiären Häufung von Autoimmunerkrankungen.

Wenn ME/CFS eine Autoimmunerkrankung ist, dann könnten auch damit verbundene Therapieansätze genutzt werden. Dazu gehört die Immunsuppression wie bei der Behandlung mit Rituximab, das die Bildung von Autoantikörpern verringert. Eine groß angelegte klinische Studie, deren Ergebnisse in Kürze veröffentlicht werden sollen, konnte jedoch keine signifikanten Therapieeffekte finden. Ein Überblick zum aktuellen Stand zu Rituximab finden Sie hier. Die bisher vorhandene Evidenz spricht jedoch dafür, dass es verschiedene Subgruppen von Patient*innen mit ME/CFS gibt, die auch verschiedene Behandlungsansätze benötigen. Aktuell laufen weitere Studien mit den immunmodulierenden Medikamenten Cyclophosphamid und Immunglobulinen in Norwegen und Deutschland.

Hier finden Sie die Studie in Autoimmunity Reviews.

 

 

Klinische Studie zeigt erste Hinweise auf Wirksamkeit neuer Therapie von ME/CFS mit KPAX002

Jose Montoya und Kolleg*innen von der Stanford Universität und weiteren Universitäten in den USA führten eine randomisierte klinische Studie zur Behandlung von ME/CFS mit KPAX002 durch. Die Studie erschien im März 2018 im International Journal of Clinical and Experimental Medicine.

Die Symptome von ME/CFS werden mit einem gestörten Energiestoffwechsel in den Mitochondrien der Zellen in Verbindung gebracht. Ein möglicher Therapieansatz ist also die Unterstützung der Mitochondrien sowie eine gering dosierte Stimulation des zentralen Nervensystems zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Die Autor*innen schlagen KPAX002 vor, das ein Stimulans (Methylphenidat-Hydrochlorid, auch bekannt als Ritalin) mit Nährstoffen (Vitamine, Antioxidantien, und Aminosäuren) zur Regulation der Mitochondrien kombiniert.

KPAX002 wurde bereits in einer Phase1-Studie getestet und konnte Fatigue und Konzentrationsstörungen von ME/CFS-Patient*innen reduzieren. Die hier vorgestellte Phase2-Studie soll nun weiter testen, wie ungefährlich, verträglich und wirksam KPAX002 ist. Hierzu wurde eine randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte, parallelisierte Studie durchgeführt. Es wurden 105 Patient*innen mit ME/CFS (nach CDC-Kriterien) an vier Standorten in den USA zufällig zu einer Behandlungs- und einer Plazeborgruppe zugeteilt und bekamen KPAX002 bzw. ein Plazebo über einen Zeitraum von drei Monaten.

Patient*innen in beiden Gruppen gaben nach drei Monaten weniger ME/CFS-Symptome in den Bereichen Fatigue, Konzentration, Motivation und körperliche Aktivität an als vor Beginn der Studie. Patient*innen, die KPAX002 erhalten hatten, unterschieden sich nicht bedeutsam von der Plazebo-Gruppe. Vergleicht man jedoch nur diejenigen Patient*innen, die zu Beginn der Studie besonders starke Symptome hatten (insbesondere Fatigue und Schmerzen), so zeigt sich eine statistisch Bedeutsame Wirkung von KPAX002. Zudem gab es keine schwerwiegenden Nebenwirkungen.

Die Studie ist ein erster Hinweis darauf, dass die kombinierte Behandlung mit Ritalin und Nährstoffen die Symptome von ME/CFS reduzieren könnte. Jedoch zeigte sich ein großer Plazebo-Effekt (Verbesserung der Symptome durch bloße Teilnahme an der Studie, obwohl kein Wirkstoff verabreicht wurde). Dies könnte dadurch erklärt werden, dass die Symptome nur per subjektivem Selbstbericht erfasst wurden. Es sind also noch weitere klinische Studien mit größeren Stichproben und objektiven Maßen (wie z. B. ein Schrittzähler) für die Wirksamkeit nötig. KPAX002 könnte Patient*innen mit einer schweren Form von ME/CFS in Zukunft jedoch helfen.

Hier finden Sie die Studie im International Journal of Clinical and Experimental Medicine.

 

 

Erneute Reanalyse des PACE-Trials – GET/CBT zeigen keine wesentliche Wirkung

Unabhängige Wissenschaftler*innen um Wilhshire et al. haben erneut eine Reanalyse des PACE-Trials veröffentlicht. Die Arbeit erschien Ende März im Fachmagazin BMC Psychology.

In vielen Ländern, u. a. auch in Deutschland, wird immer noch von Ärzt*innen oft Aktivitäts- (GET) und Verhaltenstherapie (CBT) als Behandlung von ME/CFS empfohlen. Diese Empfehlungen stützen sich hauptsächlich auf den PACE-Trial von 2011, welcher seit Erscheinen aufgrund von methodischen Mängeln umstritten ist. Die Autor*innen hatten u. a. das Protokoll während der Studie deutlich gelockert, die Patient*innen während der Studie über positive Benefits der Therapie informiert, Erfolgsraten so definiert, dass schon bei Einschluss der Studie 13 % der Patient*innen als „geheilt“ galten und mussten gerichtlich gezwungen werden, die Rohdaten öffentlich zu machen.

Patient*innen wie Ärzt*innen berichten schon seit langem, dass Aktivitätstherapie bei ME/CFS unwirksam ist und die Symptome zudem aufgrund der Belastungsintoleranz deutlich verschlimmern kann.

Die Wissenschaftler*innen werteten jetzt die Ergebnisse der PACE-Studie anhand von Rohdaten und dem ursprünglichen Studienprotokoll umfangreich neu aus. Im Ergebnis fiel die Erfolgsquote von GET und CBT zusammengenommen von 60 auf 20 %. Die Erfolgsquote in der Kontrollgruppe fiel von 45 auf 11 %. Nach mehreren statistischen Korrekturen blieb nur ein leicht signifikanter Effekt von Aktivierungstherapie übrig. Der Effekt für Verhaltenstherapie gegenüber der Kontrollgruppe war nicht mehr vorhanden.

Langzeiteffekte waren nicht nach der Neuberechnung in allen Therapiearmen (GET/CBT) nicht mehr vorhanden. Diese fielen auf 8, 5 und 3 % und waren statistisch nicht bedeutsam.

Zusätzlich zu der schwachen bzw. nicht vorhandenen Signifikanz kritisieren die Autor*innen, dass der PACE-Trial sich ohne Blindung allein auf subjektive Fragebögen verließ und so großen Bias-Effekten ausgesetzt war. Dazu waren die Einschlusskriterien zu locker (Oxford-Kriterien), so wurden wohl viele Patient*innen mit psychischen Erkrankungen inkludiert. Trotzdem konnte man kaum Effekte nachweisen.

Im Gegensatz dazu zeigen mehrere Studien und Umfragen, dass Aktivierungstherapie die Symptome von ME/CFS verschlechtern kann. Die Autor*innen schließen damit ab, dass es nicht sinnvoll sei, GET und CBT als Therapie- und Forschungsansatz weiter zu verfolgen. Auch die BBC und die Times berichteten über die Studie und nannten die PACE-Ergebnisse „nicht robust“ und „wertlos“.

Hier finden Sie die Arbeit BMC Psychology.

 

 

Studie der Charité - Immunoadsorption half sieben von zehn Patienten

Das Team der Charité rund um Carmen Scheibenbogen, Madlen Loebel und Petra Grabowski veröffentlichte Mitte März ihre lang erwartete Behandlungsstudie mit der Immunoadsorption. Die Studie erschien in PlosOne.

Die Ärzt*innen behandelten 10 ausgewählte ME/CFS-Patient*innen mit einem Immunoadsorptions-Verfahren. Bei diesem Verfahren werden Immunglobuline des Typs G im Laufe einer Woche außerhalb des Körpers aus dem Blutplasma gefiltert.  Die Immunoadsorption wird auch bei Autoimmunkrankheiten wie der Multiplen Sklerose oder der Myasthenia Gravis eingesetzt, vor allem bei schweren Verläufen und wenn andere Therapien nicht mehr wirken.

In einer vorherigen Studie hatte das Team bei ca. 30 % der ME/CFS-Patient*innen erhöhte Level von Autoantikörpern gegen ß2-adrenerge und muskarinerge M3- und acytelcholinerge M4-Rezeptoren entdeckt, die möglicherweise für einige der ME/CFS-Symptome verantwortlich sind. Die These war nun, dass das Filtern dieser Antikörper die Symptomatik verbessern könnte.

Die Patient*innen hatten alle erhöhte Level von ß2-Antikörpern, < 50 Punkten auf der Bell-Skala, ME/CFS wurde durch einen Infekt getriggert und  nach den Kanadischen Konsenskriterien (CCC) diagnostiziert. Sieben Patient*innen hatten zusätzlich erhöhte Level von ß1-/M3/M4-Antikörpern.

Als subjektive Endpunkte (Fragebögen) wurde ein an die CCC angelehnter Fragebogen von Fluge et al. und der FACT-F verwendet. Als objektive Endpunkte dienten ein Schrittzähler, Muskelkraftmessungen mittels eines Pinch-Dynamomters und die Messung der enthothelialen Gefäßfunktions mittels PAT.

In neun Patient*innen sanken die spezifischen Antikörperlevel durch die Therapie deutlich ab. Sieben Patient*innen zeigten eine schnelle Verbesserung der Symptomatik nach der Therapie. Drei Patient*innen zeigten eine langhaltende Verbesserung über 12 Monate. Bei den restlichen Patient*innen kamen die Symptome nach einigen Wochen bzw. Monaten wieder zurück. Ein Patient war für 7 Wochen komplett symptomfrei. Dies spiegelte sich auch in den Schrittzählern wider, an der Muskelkraft und der Gefäßfunktion änderte sich jedoch durch die Therapie nichts.

Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass Immunoadsorption in Zukunft für ME/CFS genutzt werden könnte, um die Symptomatik zu lindern und dass ß2-Antikörpern sowie Antikörper generell eine größere Rolle in der Pathogenese spielen könnten. Größere, multizentrische Studien sind jedoch notwendig, um dies zu stützen.

Hier finden Sie die Studie auf PlosOne.

 

 

Hinweis: 

Alle Texte sind von uns sorgfältig und nach bestem Wissen erstellt. Sie sind jedoch allgemeiner Art und können nur generell über ME/CFS und die allgemeine Forschungslage aufklären. Bitte verwenden Sie die Informationen nicht als Grundlage für gesundheitsbezogene Entscheidungen und treffen Sie keine Selbstdiagnosen.

Bei gesundheitlichen Beschwerden konsultieren Sie bitte einen Arzt. Nur eine individuelle Untersuchung kann zu einer Diagnose und ggf. Therapieentscheidung führen. Nehmen Sie Medikamente nur nach Absprache mit einem Arzt oder Apotheker ein.

 

Redaktion: laf, dha