Eine Zeitung liegt auf einem Tisch

ME/CFS-Update 09/2017

Wichtige Ereignisse aus den letzten Wochen

Mit dem „ME/CFS-Update“ informieren wir über wichtige Ereignisse aus den letzten Wochen. Welche Neuigkeiten gibt es international und in Deutschland über ME/CFS? Was geschieht in der Forschungswelt? Wer hat sich zu Wort gemeldet? Wo ist ein wichtiger Artikel erschienen? In informativen Kurzbeiträgen berichten wir aus aller Welt.

Die CDC streichen umstrittene Therapieempfehlungen von ihrer Website

In einem überraschenden Schritt haben die US-amerikanischen „Centers for Disease Control and Prevention“ (CDC) auf dem Teil ihrer Website, der sich an die Öffentlichkeit richtet, jegliche Erwähnung von kognitiver Verhaltenstherapie und ansteigendem körperlichem Training als Therapieansätze für ME/CFS entfernt. Patientengruppen hatten sich seit vielen Jahren dafür eingesetzt, dass diese umstrittenen Empfehlungen nicht mehr Bestandteil von Management-Strategien sein sollten, da die meisten Patienten von Verschlimmerung durch teils geringste körperliche und geistige Anstrengung berichten. Diese Belastungsintoleranz wurde ebenfalls in den letzten Jahren in mehreren Studien bestätigt (2DayCPET, Störung des Energiestoffwechsels).
Im gleichen Zuge strich die Behörde ihre 1994 entworfenen Kriterien von der Seite und führt nun Post Exertional Malaise (PEM) als Kernsymptom auf. Dies orientiert sich wohl an den IOM-Kriterien von 2015. Patientenvertreter begrüßten die Änderungen als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Viele hätten sich jedoch ein begleitendes öffentliches Statement der CDC gewünscht, vor allem als Signal für andere Länder, deren ärztliche Leitlinien für ME/CFS dem aktuellen Stand der Wissenschaft noch um Jahre hinterherhinken. In Großbritannien fand eine Petition im Juli bereits 15.000 Unterstützer, welche diese und weitere Änderungen für die sogenannten "NICE-Guidelines" fordert.

https://www.cdc.gov/me-cfs/about/index.html

Meeting: Hemispherx trifft sich mit MillionsMissing-Kanada

Im August haben sich die Hersteller des Medikaments Ampligen mit Patientenvertretern von MillionsMissing in Toronto, Kanada, getroffen, um eine weitere Kooperation zu planen. So soll die Forschung und die Verfügbarkeit von Medikamenten für ME/CFS-Patienten gefördert werden.  
Zum Hintergrund: In den USA wurde mit Ampligen/Rintatolimod erstmals ein Medikament speziell gegen ME/CFS entwickelt und ist inzwischen in Argentinien als erstem Land weltweit zugelassen. Ampligen hat immunmodulatorische und antivirale Eigenschaften. In Europa wird es im Zuge eines Early Access Programmes bereits zur Behandlung von Bauchspeicheldrüsenkrebs eingesetzt und soll per Early Access  im kommenden Jahr auch für erste CFS-Fälle verfügbar gemacht werden. Ampligen hat in den USA bereits eine Phase 3 Studie durchlaufen, muss allerdings auf Empfehlung der FDA für eine mögliche Zulassung in den USA noch eine weitere bestätigende klinische Studie durchlaufen. Bisher hat es in den USA eine "Orphan Drug Designation" für Ebola, HIV, verschiedene Krebsarten und CFS.  

http://ir.hemispherx.net/collaboration-with-millions-missing-canada

EUROMENE - Umfassendes Review zu Biomarkern

Die von der EU geförderte Forschungsgruppe EUROMENE hat ein umfassendes Review über die Erforschung von Biomarkern für ME/CFS veröffentlicht. Die Übersichtsarbeit erschien Ende Juli in der Fachzeitschrift Journal of Translational Medicine. EUROMENE sind aktuell Wissenschaftler und Ärzte aus 17 europäischen Ländern angeschlossen. Auch Deutschland ist mit der Gruppe um Prof. Scheibenbogen an der Charité vertreten. Die Gruppe wurde 2015 gegründet, um den akademischen Austausch rund um ME/CFS in Europa zu fördern.
Teil der EUROMENE-Gruppe ist das „ME/CFS EUROMENE Biomarker Landscape Project“. Dessen Aufgabe ist es, potentiell vielversprechende Biomarker für ME/CFS zu erforschen und Leitlinien für die Verwendung dieser Biomarker zu erstellen. Als erster Schritt wurden alle Studien zu Biomarkern gesichtet, die in den letzten fünf Jahren im europäischen Raum erschienen sind. Hier wurden 39 vielversprechende Studien identifiziert. Der Großteil der Studien (15) erforschte Immunmarker im Bereich Immunglobuline, Autoantikörper, Zytokine und Immunzellen. 15 Studien beschäftigen sich zudem mit Stoffwechselmarkern wie den Mitochondrien, oxidativem Stress, Cortisol und komplexen Stoffwechselwegen. Vier Studien bestätigten negative Werte für den XMRV-Virus in europäischen Patientenkohorten. Vier neurologische Studien fokussierten sich auf Neurotransmitter wie Noradrenalin. Bildgebende Studien wurden innerhalb Europas nicht identifiziert. 
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass aktuell kein valider Biomarker für ME/CFS zur Verfügung steht. Teilweise widersprechen sich zudem die Daten. Viele der untersuchten Studien sind Erststudien, denen es oft an großen Kontrollgruppen und Replikation mangelt. Bisher wurden nur zwei Immun-Biomarker mit größeren Patientengruppen validiert: erniedrigte Immunglobuline sowie eine spezifische IgG-Antwort auf den EBV-Virus.
Um diesen Umstand zu ändern, sind laut den Autoren höhere Forschungsgelder nötig sowie eindeutig definierte Patientenkohorten nach neuen klinischen Kriterien wie CCC, ICC und IOM. Auch müssen die Testverfahren innerhalb Europas standardisiert werden. 
EUROMENE sieht seine Aufgabe darin, die europäische Forschung zu vernetzen, um die Qualität der zukünftigen Biomarker-Forschung zu verbessern.  

https://translational-medicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12967-017-1263-z

NICE - Vollständige Revision der NICE Guideline für ME/CFS

Die wichtigste englische Leitlinie für ME/CFS („NICE Guideline CG53“) wird nach zehn Jahren erstmals überarbeitet. Die Entscheidung wurde im September veröffentlicht. 
Für die Entscheidungsfindung wurden sechs britische Ärzte und ein Patient von NICE („Nationales Institut für Gesundheit und klinische Exzellenz“) um Stellungnahmen gebeten. Überraschendes Ergebnis war zunächst, dass eine Aktualisierung der Leitlinie (Stand 2007) mehrheitlich abgelehnt wurde.
Daraufhin machten Patientenverbände und Ärzte auf neue internationale Studienergebnisse aufmerksam. Eine offizielle Anfrage zeigte, dass NICE mehrheitlich Psychiater als Experten für ME/CFS befragt hatte (drei Psychiater, zwei Neurologen, einen Pädiater), was in Kontrast zu der Praxis bei anderen als neurologisch klassifizierten Krankheiten steht. Zudem erreichte eine von Patienten initiierte Petition für eine Aktualisierung der zehn Jahre alten Leitlinie innerhalb von zwei Wochen über 15.000 Unterschriften.
NICE zeigte sich von den Argumenten und Belegen über neue Studienergebnisse überzeugt. In der nun veröffentlichten Entscheidung heißt es, dass genug Evidenz vorliege, die eine vollständige Revision der Leitlinie erforderlich macht. NICE thematisiert, dass die Leitlinie bisher auf dem „bio-psycho-sozialen Modell“ für ME/CFS basiere. Durch aktuelle Forschungsergebnisse (z. B. Nachweise von Autoimmunität und eines gestörten Energiestoffwechsels) müsse jedoch verstärkt auch ein „biologisches Modell“ mit messbaren Abweichungen in Erwägung gezogen werden. Die Wirksamkeit von kognitiver Verhaltenstherapie und ansteigendem körperlichen Training wird aufgrund mangelnder Nachweise von NICE in Frage gestellt und diskutiert. Studien zu anderen Therapien (z. B. Rituximab) sollen geprüft werden. Des Weiteren geht NICE auf die Problematik sehr weit gefasster Diagnosekriterien (Oxfordkriterien und NICE-Kriterien) ein. Auch ist angedacht, schwere Verlaufsformen stärker zu berücksichtigen und der Diagnose und Behandlung von Kindern ein eigenes Kapitel einzuräumen. Das Ausmaß der letztendlich umgesetzten Änderungen bleibt abzuwarten, doch ist die Entscheidung für eine Revision als positives Signal zu werten. Die vollständige Revision soll bis 2020 in Anspruch nehmen. Bis dahin werden weiterhin die alten Leitlinien gelten.

https://www.nice.org.uk/guidance/cg53/resources/surveillance-report-2017-chronic-fatigue-syndromemyalgic-encephalomyelitis-or-encephalopathy-diagnosis-and-management-2007-nice-guideline-cg53-4602203537/chapter/Surveillance-decision#reason-for-the-decision

NIH vergibt Forschungsstipendien

Das amerikanische National Institute of Health (NIH) hat vier Forschungsstipendium an Wissenschaftler aus den USA vergeben. Das Volumen der Förderung beträgt im Jahr 2017 sieben Millionen Dollar und ist damit die größte Forschungsförderung von ME/CFS weltweit. Die Träger der Stipendien sind Dr. Hansen von der Cornell Universität in New York (biologische Veränderungen von ME/CFS nach Aktivität/PEM), Dr. Lipkin von der Columbia Universität in New York (Einfluss des Mikrobioms bei ME/CFS), Dr. Unutmaz vom Jackson Laboratory in Connecticut (Zusammenhänge zwischen Immunsystem, Mikrobiom und Stoffwechsel bei ME/CFS) und Dr. Williams am Research Triangle Institue in North Caroline (Einrichtung einer vernetzen Datenbank für Wissenschaftler und Ärzte). Koordiniert wird die Forschung vom NINDS, dem Zentrum für neurologische Krankheiten und Schlaganfälle.
Das amerikanische NIH ist mit einem Jahresbudget von 30 Mrd. US-Dollar die größte Einrichtung für die biomedizinische Forschungsförderung weltweit. Anfang 2017 hatte das NIH angekündigt, über die nächsten 5 Jahre 30 Millionen US-Dollar für die ME/CFS-Forschung zur Verfügung zu stellen sowie die Erkrankung auch selbst zu erforschen (wir berichteten). Die Ärzte wollen so die klinischen und biologischen Merkmale von ME/CFS besser verstehen und herausarbeiten. Die jetzt vergebenen Stipendien sind die ersten Schritte, um dieses Ziel zu erreichen.

https://www.nih.gov/news-events/news-releases/nih-announces-centers-myalgic-encephalomyelitis-chronic-fatigue-syndrome-research

Neues von der Open Medicine Foundation

Die Deutsche Gesellschaft kooperiert jetzt mit der amerikanischen Open Medicine Foundation aus Kalifornien, geleitet von Linda Tannenbaum und Prof. Ron Davis. Unsere Autoren stehen im engen Austausch, übersetzen Artikel ins Deutsche und berichten über die neusten Entwicklungen des OMFs.
Im letzten Monat haben wir zwei Artikel des OMFs ins Deutsche übersetzt und auf unserer Homepage veröffentlicht (hier und hier).
Die Open Medicine Foundation, welche Forschungsgelder zur Bekämpfung von ME/CFS bereitstellt, finanziert sich derzeit fast ausschließlichaus privaten Spenden. Hierzu benötigt sie jährlich ca. 5 Millionen US-Dollar.

Zur Unterstützung ihrer Arbeit könnt ihr unter diesem Link spenden:

http://www.openmedicinefoundation.org/donate-to-the-end-mecfs-project/

Wir laden Euch ein, die Arbeit der OMF auch bei Facebook, Youtube und Twitter zu durch Euer „Gefällt mir“ zu unterstützen, Neuigkeiten mit Freunden und Familie zu teilen und den Newsletter der OMF, nun auch auf Deutsch verfügbar, zu abonnieren.

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